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CHLÖE – IN PIECES

© Parkwood Entertainment / Columbia

Genre: R&B

Beyoncés Protegé schlägt mit ihrem ersten Solo-Album auf. Leider schafft es Chlöe nicht, aus dem langen Schatten ihres Vorbilds hervorzutreten – im Gegenteil.

Vor drei Jahren schlug Chloe zusammen mit ihrer Schwester Halle so richtig in der Musikwelt auf: Ungodly Hour war ein eines der besten Alben im Jahr 2020 und zeigte das schier unendliche Potential der beiden Schwestern. Die Zukunft des R&B sollte über die beiden gehen – ihre perfekten Harmonien, die aufwendigen Koloraturen und ihr Gespür für einen feinen Mix aus Pop und Hip-Hop, zeigten, dass sie nicht umsonst von Beyoncé unter Vertrag genommen wurden.

Seitdem hat sich die Schwesternband eine Pause gegönnt und sowohl Chloe als auch Halle gingen eigenen Projekten nach. Halle feiert in Kürze ihr großes Leinwand-Debüt als Meerjungfrau Arielle, während Chloe seit neuestem ein ö in ihren Namen aufgenommen hat und an ihrer Solo-Karriere bastelte. 2021 veröffentlichte sie ihre erste eigene Single Have Mercy, drei weitere folgten im vergangenen Jahr – und gaben die Richtung vor, in die Chlöe gehen will: selbstbewusster, (leicht) übersexualisierter R&B, ohne die ganz großen experimentellen Sprünge. Sie hat trotzdem ein paar Dinge ausprobiert, ohne auf einen wirklich musikalischen Nenner gekommen zu sein. Trotz Charterfolge schaffte es keiner der vier Songs auf das jetzt erschienene Album In Pieces, das erst im Januar 2023 angekündigt wurde.

Dafür gibt es jetzt 14 neue Songs, die vor allem eines zeigen: Chlöe scheint noch keine Lust zu haben, sich auf eigene Füße zu stellen. Viel mehr versucht sie ihrem Vorbild Beyoncé in jeglicher Art und Weise nachzueifern. Ein verständlicher Gedanke, den man trotzdem nicht verfolgen sollte.

Denn Chlöe hat viel zu viel Talent, um sich auf das bloße Kopieren zu fokussieren. Auf In Pieces kann sie ihre tatsächlichen Stärken leider kaum ausspielen, zu häufig spielt sie zu sehr auf Nummer sicher. Die Leadsingle Pray It Away verdeutlicht das wohl am besten: Generischer R&B der zudem von nicht sonderlich guten Texten begleitet wird. Im Allgemeinen sollte sich Chlöe dringend Hilfe beim Schreiben holen, immer wieder schaffen es unpassende oder fast schon unangenehme Zeilen in ihre Songs. Pray It Away bricht nicht aus, sondern bleibt auf der Stelle stehen, selbst wenn Chlöe stimmlich Varianz anbieten möchte. Sie klingt am Ende einfach zu sehr nach Queen B als nach Chloe Bailey.

Gerade in der Albummitte folgt ein austauschbarer, ruhiger R&B-Song auf den anderen: Feel Me Cry bewegt sich dreieinhalb Minuten immer im selben Rahmen und plätschert vor sich hin, ohne einen großen Mehrwert zu geben – kann aber zumindest noch Chlöes Stärken in den Tiefen immer wieder in den Vordergrund stellen. Make It Look Easy versucht mit verträumten Synthis und Claps eine gewisse verruchte und dramatische Stimmung aufzubauen, dient aber in erster Linie als Einschlafhilfe. Durch eine verspielte Gitarre samt simplem Klavierthema macht Looze U Hoffnung auf eine kleine Euphorie-Welle ­– ein frommer Wunsch: Chlöe bleibt mit ihrem Gesang deutlich hinter ihren Möglichkeiten, streckt dieses Lied auf fast vier Minuten, wovon mindestens zwei Minuten streichbar gewesen wären.

Schade ist es um Nummern wie Heart On My Sleeve: hier bleibt Chlöe auf dem Minimum, gibt uns leider nur 58 Sekunden dieser potentiellen Hit-Melodie. In dieser Minute passiert mehr als auf den meisten der restlichen Tracks. Dafür kann der Closer In Pieces überzeugen. Eine größere Ballade, vom Klavier angetrieben, von Chlöe schön durchgesungen. Die Harmonien stimmen, der Aufbau ebenso, auch wenn Beyoncé oder Rihanna wieder ein bisschen durchblitzen möchten.

Sprechen wir noch über den Elefanten im Raum: Chris Brown. Es mag Manager und offenbar auch Künstler geben, die es für eine kluge Idee halten, im Jahr 2023 noch ein Feature mit Chris Brown vorzuschlagen und zu glauben, irgendwelche Sympathien damit generieren zu können. Abgesehen vom ethischen Aspekt, ist die Kollaboration zwischen Chlöe und Brown mit dem Titel How Does It Feel ein Griff ins Klo, die Chemie zwischen den beiden ungefähr so anziehend, wie die Geduld der Bayern München Verantwortlichen, wenn es um die Etablierung eines jungen Trainers geht. Wie es sich anfühlt? Extrem lahm.

Auch die anderen Gastbeiträge können nicht überzeugen. Told Ya hat niemand geringeres als Missy Elliott mit dabei, dennoch kommt auch hier nicht sehr viel Stimmung auf. Fühlt sich alles sehr gezwungen und unnatürlich an, nicht einmal Miss Elliott kann hier die Kohlen aus dem Durchschnittsfeuer holen. Cheatback müsste kein Feature sein, Futures-Part ist vollkommen belanglos. Chlöe allein macht aus dem Song genug, nimmt sich aber mit dem Gastbeitrag die Chance auf einen wirklich durchgehend schönen und auch aufregenderen Song.

Drei Songs stechen ein bisschen hervor: Body Do schlägt mit viel mehr Wumms auf, ändert die Rhythmik und zeigt ein einziges Mal Chlöe von einer anderen, bisschen wilderen Seite – Upbeat. I Don’t Mind nimmt auch Abstand vom üblichen R&B, hat ein ordentliches Instrumental parat und hält die Spannung durchgehend auf der höheren Seite. In Worried – von Metro Boomin produziert – kann man sich an SZA erinnert fühlen, was Chlöe aber nicht schlecht steht. Der Mix aus Rap und R&B wie hier, wird von ihr in dieser Form zu stark vernachlässigt.

Zusammenfassend lässt Chlöe extrem viel Potential auf In Pieces liegen. Es gibt nur ganz wenige Künstlerinnen, die ähnliches Talent mit sich bringen und noch eine kleinere Schnittmenge, die diese Gabe so schlecht nützen, wie Chlöe es hier tut. Vom Mut oder dem aggressiven Vorwärtsdrang von Ungodly Hour fehlt hier jede Spur. Am Beginn ihrer Solo-Karriere sollte noch nicht ein generisches R&B-Album stehen. Tut es aber. Sehr schade.

5,9/10