Zum Inhalt springen

BIBIZA – WIENER SCHICKERIA

© Columbia Records / Sony

Genre: Pop/Rap

Ein unglaublich gut durchorchestrierter Trip durch das Wiener Clubleben mit dem unverkennbaren Schmäh eines kleinen Strizzis.

Es birgt immer eine gewisse Gefahr, wenn man sich als österreichischer Künstler auch nur annähernd in die musikalische Richtung von Falco begibt. Ja, auch bei diesem Album fliegt der ewige Falke über sämtlichen Klängen. Oft kopiert, nie erreicht – wir kennen die Geschichte. Bibiza macht da aber auch keinen großen Hehl daraus, dass er sich bei dem ein oder anderen schon bekannten Klangmuster bedient. Die Wiener Schickeria muss eben auch so klingen, wie wir es aus den 80er Jahren gewohnt sind. Dieses Album zelebriert die Nacht und alles was zu einem ausgelassenen, guten Absturz dazugehört: Wein, Kokain, andere Suchtmittel, bisschen Liebe, ein wenig Philosophie, Ab- und Zuneigung zu Wien – so darf einfach ein großer, 20 Tracks umfassender Liebesbrief an seine Heimatstadt entstehen.

Nur ein Feature hat er sich eingeladen und das ist niemand geringerer als Nicholas Ofczarek, der ihn im Intro vorstellt. Bibiza lebt den Schmäh, das hört man im Opener Guten Morgen relativ früh und deutlich. Der Wecker klingelt, es ist 13.00 Uhr / ring-ring-ring-ring / Opernring-Ring-Ring. Und gegen Ende fragt er hinter vorgehaltener Synthie-Dominanz: Warum ist die Banane krumm? Hört man nicht sofort, tut aber seinen Zweck. Aber hey, diese Frage muss erlaubt sein, bevor Bibiza erklärt: „Ich hab’ ein Album gemacht, und es heißt Wiener Schickeria. Es hat in mir ein Feuer entfacht wie der Ofen in einer Pizzeria”. Dass er in diesem Song auch ein bisschen was von Amore erwähnt – geschenkt – auch Wanda muss in dieser durchzechten Nacht ihren Auftritt bekommen.

Bibiza versucht sich generell an verschiedenen Hommagen: Abgesehen von Falco und Wanda hört man in seiner Wiener Schickeria gar Adaptionen von Mozarts Kleiner Nachtmusik, die seinem Song Femme Fatale ganz leger den Rahmen gibt. Der Track definiert seine Form des Liebeskummers, ohne dem Hörer dabei großartig das Gefühl des Wahnsinns zu geben.

Es sind verschiedene Themenblöcke, die Bibiza geschickt aufs Tablet bringt: Ein geografischer Schwerpunkt, den er am Opernring startet, der ihn im Stadtpark schlaflos werden lässt, ihn am Weg zur Villa über die Höhenstraße führt und der schlussendlich mit ordentlichem Ballern am Balkon endet. Soundtechnisch klingt Bibiza aufgeregt, sehr frisch, aber auch vertraut. Wenn er im Opernring Blues mit einem satten Bass und feinen Echo-Stimmen gleich mit Zwei schöne Damen und Kokain einleitet, kann gar kein schlechter Song mehr entstehen. Die Entwicklung des Lieds ist bemerkenswert, die Hereinnahme einer schlichten, aber treffsicheren Gitarre zum Refrain ein echter Bringer. Ja, hier schwebt er schon sehr, sehr, sehr stark mit, der Hansi.

Auch in Schick mit Scheck. Bibiza rollt das R in voller Pracht, baut gar das berühmteste Zitat von Wiens Ex-Bürgermeister Michael Häupl ein und fordert auf: Man bringe mir den Spritzwein, bitte. Der Schmäh läuft durch, wie auch der Sound, der bedingungslos nach vorne zieht.

Rastlos wie Bibiza in Stadtpark Insomnia. Da gibt’s gar Klarinetten und ziemlich mächtiges Storytelling. Die innere Unruhe wird wunderbar im Refrain abgebildet, die Energie ist enorm hoch.

Dieses Album ist eine Ode an Wien. Im gleichnamigen Track bekennt er sich zu seiner Stadt, weiß, dass alles irgendein Ende nehmen muss und er deshalb getrost sagen kann: Wenn ich sterbe, lieg’ ich unter deiner Erde, Baby. Bibiza raunzt in Marco Wanda-Manier über die Gassen, die Hassliebe zu Wien und skandiert den Namen der Stadt wie einst Falco. Ohne dabei auf Individualität zu verzichten. Der Schmäh rennt und rennt und rennt.

Was man auch in der Ode an Bibiza hören darf. Hier teilt eine wohl nicht ganz zur Zielgruppe dazugehörende Konzert-Besucherin ihren Unmut über die Texte, die Musik und generell jegliche Art der Drogenverherrlichung Bibizas mit. Der kontert mit einem sehr würdigen Nachfolger für Skeros Kabinenparty und lässt die Welt wissen, dass wir alle Alkoholiker sind.

Sonst klingt die Schickeria aber schön ausgewogen: Sehr groovy, sehr funky, sehr opulent. Bibiza erfindet das Rad in keiner Art und Weise neu, beweist dafür, dass man österreichischen Disco auch 2023 feiern darf, weil eben alles hier so verdammt gut ineinandergreift. Immer wieder spricht man von hellen und dunklen Seiten auf Alben. Wiener Schickeria hat diese beiden Gesichter ebenso – Songs wie KiK (Skit) oder Blau sind deutlich düsterer ausgelegt als die hellen und euphorischeren Nummern, die vor allem zum Album-Start zu hören sind. Dekadenz in Wien, ja das versteht der Deutsche nie / Das is nicht Oberfläche, sondern einfach Sympathie ist zudem ein mehrzeiliges Gespann von höchster Qualitätsgüte. Die Verständigungsprobleme zu den deutschen Nachbaren könnten sich in einem Track wie Marie noch verschlimmern. Im Mantel eines 20er-Jahre Chansons verkündet Bibiza, dass die Marie die Welt regiert. Geld oder Frau – Bibiza scheint beides zu haben. Oder zu brauchen.

Die Akademie der bildenden Künste wird man gerne öfter besuchen. Bibiza wählt den sehr leichten Zugang, hat ein paar Claps und überhaupt eine allgemein sehr lockere Stimmung parat. Auch – oder weil – er hier sehr auf Nummer sicher geht, bleibt der Song sehr lange im Ohr. Höhenstraße ist auch so ein kleiner Falco-Banger, während Wer Leidet Mit Mir? fast schon an die alten Fehlfarben mit Synthie-Einstreuungen erinnert. Sehr cooles Arrangement. Im Closer Regen raunzen die Synthis in höchster Auffälligkeit, während Bibiza die Strophen in seinem typischen Sprechgesang gestaltet und er sich sanft zum Gesang hin hangelt.

Bibiza hat mit Wiener Schickeria einen unglaublichen Entwicklungsschritt offenbart, der ihn normalerweise unweigerlich in die oberste Etage österreichischer oder deutschsprachiger Musikgrößen katapultieren müsste. Die Eigenständigkeit dieser Platte, der Schmäh, den man bei einem Album über jede andere Stadt der Welt als Swag bezeichnen würde, ist in jeder Sekunde hör- und erlebbar. Man entkommt ihm nicht und möchte ihn so lange wie möglich aufsaugen. Bibizas Zugang zu diesen Klängen ist immer noch großartig eigenständig, auch wenn hie und da der Falke, Bilderbuch oder Wanda durchblitzen.

Wer Fernweh nach Wien hat, kommt an dieser Scheibe nicht vorbei. Wer noch nie in Wien war, bekommt einen schönen Abriss der zweitgrößten deutschsprachigen Stadt. Mehr geht eigentlich nicht. Eines der besten Alben des Jahres.

8,7/10