Label: ILH/DEF JAM/UMG

Genre: Pop/R&B
Vier Jahre lagen zwischen seinem letzten Album Justice und dieser neuen Platte, die er unironisch Swag getauft hat. Swag – das heizte die im Vorfeld bereits hartnäckigen Spekulationen über ein Rap- oder Trap-Album noch weiter an. Herausgekommen ist jedoch kein sprachgewaltiges Werk, sondern eine Platte, die sich in Wolken einbettet, auf satten 21 Tracks Justin um uns schlingt und sich so persönlich wie nie zuvor zeigen möchte.
Swag trägt die Handschrift zahlreicher Produzenten: von Daniel Caesar über Carter Lang, Tobias Jesso bis hin zu Mk.Gee. Konkret bedeutet das: Synthies, Bass, viel Echo, viel Hall, Stimmverzerrer – alles sehr laid-back, bloß keine Aufregung. Entstanden ist ein R&B-Album, das wohl nur hartgesottene Fans zufriedenstellen kann – und damit meine ich nicht unbedingt die von Justin Bieber, sondern die der Musikrichtung. Diese 54 Minuten beginnen vielversprechend und ziehen sich schließlich wie ein extrem durchgekauter Kaugummi.
Eine Laufzeit von knapp einer Stunde lässt auf ein großes Mitteilungsbedürfnis schließen – und ja, Justin Bieber, der inzwischen erwachsene Kinderstar, will über seine Beziehung zu Ehefrau Hailey, neue Vaterfreuden, das Leben in der Öffentlichkeit, mentale Gesundheit und auch über seinen Glauben an Gott sprechen. Themen, die berühren könnten, bei denen er sich von einer tieferen Seite zeigen kann – bei denen man einen Blick hinter die Fassade des Megastars werfen könnte. Und ich bleibe bewusst im Konjunktiv – denn so wahnsinnig intim wird es auf Swag eigentlich nie. Vielmehr bekommen wir immer mehr vom Gleichen. Es ist eher ein Album der Selbstverherrlichung oder der Suche nach Mitleid als ein selbstreflektiertes Werk. Nur in Ansätzen bricht er aus sich heraus.
Etwa im Song Devotion, den er gemeinsam mit Dijon aufnimmt. Ein komplett langsamer, aber schön aufgebauter Song, in dem er davon singt, wie er sich als Ehemann bessern möchte. Er will für seine Frau da sein, sie zum Lachen bringen, aufbauen und einfach nur chillen. Der Track bleibt sich treu, Justin geht konsequent seinen Weg, zeigt sich soulig, ohne dabei große Emotionen zu offenbaren. Ob man ihm – angesichts seiner jüngsten, nicht gerade charmanten Aussagen zum massiven Erfolg seiner Frau – dieses Vorhaben abkauft, überlasse ich euch.
Oder auf Dadz Love, gemeinsam mit Lil B, wo man sich mehr Liebe in der Welt wünscht – doch eigentlich tut er nichts weiter, als That’s love zu singen. Ein Wortspiel, ohne dass seine große Liebe zum Sohn weiter vertieft wird.
Vielleicht sprechen wir zunächst über die Features des Albums: Gunna ist auf Way It Is zu hören – einem eher aufgeweckteren Song irgendwo zwischen Bedroom-Pop, Trap und R&B. Klingt ungefähr so, wie es sich liest: ein bisschen messy, obwohl der Synthie im Hintergrund als fester Anker dient. Es wird über das Leben gesprochen beziehungsweise gesungen – so wie es jetzt eben ist, ohne Drama, man will einfach nur zusammenbleiben und sich umarmen. Ein absoluter Standard-Song, fällt nicht weiter auf.
Außerdem ist Sexyy Red auf Sweet Spot dabei – einem von Rotlicht-Atmosphäre geprägten R&B-Track, der hauptsächlich durch grausame Lyrics von Justin wie auch Sexyy Red negativ auffällt. Die Rapperin klingt dabei dermaßen behäbig und neben dem Beat, mit fürchterlichem Flow und miserabler Intonation, dass einem kurz das Herz stehen bleibt – oder wie Sexyy Red selbst sagt: „Put that dick in my ass, make my heart stop“.
Über den titelgebenden Track, gemeinsam mit Cash Cobain – der Wish-Version von Travis Scott – und Eddie Benjamin, müssen keine großen Worte verloren werden: Es gibt kaum etwas zu entdecken, zu hören oder gar zu erfahren. Ein musikalischer Brei – alles untereinandergemischt.
Die größte Stärke von Swag liegt sicherlich am Anfang – zum einen, weil man frisch ins Album startet und selbst noch Energie mitbringt, zum anderen, weil die ersten Songs tatsächlich die besten sind. Der Opener All I Can Take hat viel Retro-Glanz in sich: 80s-Keyboards und Justin, der seinen inneren Michael Jackson ergründet. Zwar ist viel Melodrama dabei, doch eine gewisse Anziehungskraft kann man dem Song nicht absprechen. Was allerdings über das ganze Album hinweg extrem nervt, sind diese ständigen Michael-Jackson-Stöhner (uh), die er gefühlt alle zwanzig Sekunden einstreut. Das ist wirklich komplett unnötig – nimm doch bitte ein anderes Adlib.
Daisies trägt deutlich die Handschrift von Mk.Gee – diese Gitarre erkennt man mittlerweile unter Tausenden – und Justin macht daraus auch einiges. Ein netter Pop-Song mit Potenzial, dessen Struktur sich allerdings zu häufig wiederholt und dem ein Höhepunkt fehlt. Trotzdem: In die Nähe seiner großen, alten Hits kommt er durchaus.
Spannend ist Yukon, bei dem Eminem mitgeschrieben hat. Das ist so etwas wie ein Duett von Justin mit sich selbst, mit seinem jüngeren Ich – über seinen Werdegang. Hochgepitchte Stimme, coole Gitarre – ein Highlight, wenn auch kein ganz großes. Und auch Things You Do würde ich als kleinen Höhepunkt bezeichnen – wenn er nicht so extrem kurz ausfallen würde. Justin über Gitarre und Bass, mit Hall, sogar mit Oh-oh-Passagen – das würde funktionieren. Doch leider bleibt es nur eine Skizze.
Butterflies wird zur Metapher für Paparazzi, die leider zu seinem Alltag gehören. Hier kann das Instrumental wirklich Akzente setzen: von den schimmernden Gitarren über die Drums bis zu den stets eingesetzten Hall-Vocals. Aber das Problem bleibt: Alles auf Swag klingt gleich.
Das Album bietet einfach zu viele mühsame Momente, die man kaum entschlüsseln kann, wenn man es einfach nur nebenbei laufen lässt. Zu ähnlich klingen die Songs, zu gleichförmig wird der Synth-Teppich für Justin ausgerollt, über dem er schmachtend – fast ein wenig süßlich – seine Standard-Baby– oder Angel-Intonationen abliefert. Go Baby ist daher einer der nervigsten Tracks des Albums. Obwohl als große Liebesbekundung gedacht, wirken die Wiederholungen in dem brutal rührseligen Umfeld wahnsinnig eintönig und ermüdend. Sorry für meine eigene Wortwiederholung, aber ich finde leider kein treffenderes Wort.
Die schlimmsten Phasen des Albums sind die Interludes mit Comedian Druski, die als Therapiesitzungen getarnt sind. Da wird geplaudert, Druski schmeichelt Justin übertrieben, und es kommt zur äußerst unangenehmen Zeile: „Your skin white, but your soul Black, Justin, I promise you.“ Diese drei Skits hätte man bedenkenlos streichen können – sie sind weder unterhaltsam noch tragen sie inhaltlich irgendetwas zur Platte bei. Dasselbe gilt auch für einige Songs, die sich vor allem gegen Ende der Tracklist finden. So passt es sehr gut, dass der vorletzte Song Too Long heißt – denn das denkt man sich spätestens seit 20 Minuten. Es ist erstaunlich, wie stur man ein und dasselbe musikalische Konzept durchziehen kann, ohne auch nur einen Funken neuer Kreativität zu zeigen.
Das Album ist zu lang, zu eintönig, ideenarm, wirkt über weite Strecken zahnlos – und wird damit zur echten Herausforderung, es am Stück durchzuhören. Dazu gibt es Memos, die wohl eine rohe Charakternote hineinbringen sollen, mich aber eher an XXXTentacion erinnern – und das war bei ihm schon nicht besonders gelungen. Ich denke da speziell an Zuma House, wo dramatisch ins Mikro gewinselt wird. Warum Justin mit Forgiveness das Outro jemand anderem überlässt, weiß wohl nur er selbst. Jedenfalls ist das – neben Glory Voice Memo – der Moment, in dem er Gott um Hilfe bittet. Das muss offenbar auch noch Platz finden auf einer Platte, die bereits überladen wirkt und keinerlei emotionalen oder musikalischen Höhepunkt bietet.
Mehr dahinplätschern kann ein Album kaum. Die Tracks sind nicht per se schlecht, bleiben aber absolut nicht im Gedächtnis. Wer ein Album sucht, das man einfach nebenbei laufen lassen kann, ohne wirklich hinzuhören – für den kann entweder Spotify KI-generierte Bands auswählen oder eben Swag aufgelegt werden. Ich würde euch Letzteres empfehlen – aber vielleicht erinnert ihr euch schon übermorgen an nichts mehr davon.
Wertung: Solide 4/10
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.