Zum Inhalt springen

Tyler, The Creator – Call Me If You Get Lost

© A Boy Is A Gun / Columbia

Das schöne an HipHop in den 20er Jahren? Künstler veröffentlichen aus dem Nichts Alben. Tyler, the Creator ist Meister darin. Call Me If You Get Lost stellt das sechste Album des Grammy Award-Gewinners dar und will an die hervorragenden Vorgänger Flower Boy und IGOR anschließen. Heute schauen wir uns das ganze Track by Track an.

SIR BAUDELAIRE

Diesmal tritt Tyler als Tyler Baudelaire auf, eine Figur die er wenige Tage vor Release erstmals in einem YouTube-Video der Welt vorstellte. Baudelaire hat Geld, Autos und eine sehr große Vorliebe für Reisen. Zugleich wird DJ Drama auch vorgestellt, der eine große Rolle auf dem Album einnimmt.

CORSO

Chöre, Klavier, Percussion und ein aggressiver Tyler. Im Gegensatz zu den Vorgängern wird es auf Call Me If You Get Lost auch einmal etwas härter. Dieser Song hat enorm viele Ebenen die ihn zu einem echten Genuss machen. Tyler ist Meister der kathartischen Auflösung und der fantastischen Ehrlichkeit:

I don’t even like using the word ‘bitch’ / It just sounded cool

LEMONHEAD

Bläserüberladen. Erste Kollaboration zwischen Tyler und 42 Dugg. Die Strophe von Letzterem erweist sich zunächst als Fremdkörper, nimmt aber mehr und mehr Fahrt auf und passt schlussendlich doch noch halbwegs auf den Beat. Die Auflösung zum Outro bringt wieder die typischen Klänge von Tyler und Harmonien die man seit Flower Boy kennt. Frank Ocean, Tylers alter Comparde von Odd Future übernimmt zudem ein paar Vocals.

WUSYANAME

Die Sache mit der Liebe stellt seit Jahren das zentrale Thema von Tylers Werken dar. WUSYANAME macht keine Ausnahme, er verliebt sich in eine vergebene Frau und untermalt seine Aussagen mit smoothen Klängen samt RnB von Ty Dolla $ign.

LUMBERJACK

Und weil es gerade fast schon zu kuschelig wurde, holt er auf LUMBERJACK, der Vorabsingle des Albums, wieder die Brechstange aus der Versenkung hervor. Ein echter Rap-Track, mit Inhalten, die man von Tyler der letzten Alben nicht mehr gewohnt ist. Geld, Autos aber immer wieder der typische Humor (Shoutout to my mother and my father, didn’t pull out) und dazu ein düsterer Beat, der an die frühen Veröffentlichungen von Tyler erinnert.

HOT WIND BLOWS

Nach dem aggressiven LUMBERJACK schlägt er wieder andere Töne an, man fühlt sich im Intro an Fahrstuhlmusik aus Wess Andersons Meisterwerk Grand Budapest Hotel erinnert. Flöten und Piano als zentrale Bausteine des Instrumentals. Lil Wayne kam schon des Öfteren bei Tyler vorbei, HOT WIND BLOWS ist die dritte Zusammenarbeit der beiden Künstler. Und zur allgemeinen Überraschung fällt Wanye mit einem unglaublich straffen, perfekt vorgetragenen Vers auf. Natürlich weiß man was man von Lil Wayne inhaltlich bekommt, aber vom rein technischen kann man keinerlei Kritik bringen.

MASSA

Nein, kein Track über den ehemaligen Formel-1 Fahrer – ganz im Gegenteil – aber wieder dieses Instrumental, das auch gut in jede 90er Spielshow gepasst hätte. MASSA handelt von Sklaverei, MASSA als Slang für Master. In den Strophen widmet sich Tyler seiner eigenen Geschichte, ein Klassiker, der erzählt werden will. Gerade der relativ minimalistische Beat mit Tylers Emotion und Nachdruck einiger Passagen machen diesen Song zu einem Highlight von Call Me If You Get Lost. Vor allem den letzte Part der Schluss-Strophe kauft man Tyler ab:

I’m grateful, you n****s hateful, you eat at me, you got a plate full
You can’t relate to these things I say to these instrumentals
Whether it’s wealth talk or shit that’s painful
I paint full pictures of my perspective on these drum breaks
Just for you to tell me, “It’s not good,” from your lunch break

RUNITUP

Keine Angst, immer einen klaren Plan trotz aller Widrigkeiten und eine Hype-Hook die sich durch den Großteil des gesamten Lieds durchzieht. Wieder Bläser, wieder Breaks die Tyler zwischenzeitlich fast a capella rappen lassen. Und generell ein Instrumental, das in seiner Komposition im krassen Gegensatz zum immer wiederkehrenden Thema I’m runnin’ like, I’m runnin’ (We gon’ run it up) steht. Ruhig, aber keinesfalls lahm, viel mehr treffend.

MANIFESTO

Ein Track für Pomo-Twitter. Vergangenen Sommer forderten meist weiße Fans Rapper wie Tyler, the Creator, Kendrick Lamar oder J. Cole auf, sich zur Black Lives Matter-Bewegung zu äußern. Tyler widmet ihnen unter anderem diesen Track. Er hat keinerlei Lust sich von irgendjemandem etwas vorschreiben zu lassen – jetzt nicht und auch nicht in der Vergangenheit. Domo Genesis übernimmt eine Strophe, zu deren Start der Beat auch eine andere Richtung einschlägt. Stehen zunächst noch Synthis im Hintergrund, wird auf einen Chor-Synthi gewechselt, der eine pastorale Anmutung mit sich bringt. Tyler kramt zudem eine Leiche aus dem Keller hervor:

I was a teener, tweetin’ Selena crazy shit
Didn’t wanna offend her, apologize when I seen her
Back when I was tryna fuck Bieber, Just-in

Ein Tweet der damals wie heute über das Ziel hinausschoss. Ob er generell genug in den Augen der Pomos macht? Darauf versucht er antworten zu finden.

SWEET / I THOUGHT YOU WANTED TO DANCE

Jetzt doch wieder Liebe und das in knapp zehn Minuten. Eine Reise durch verschiedene Gefühlswelten, auch musikalisch. Der Beginn als jazzige Hommage an Zucker (Boy, they should call you sugar, sugar, oh, you so sweet / ‘Cause baby, you’re the sweetest, sweetest, sweetest thing I’ve known) mit Instrumentals die außerirdisch leicht und schwebelos klingen. Dem Keyboard gehören die ersten Minuten ganz klar, ehe Tyler nach gut viereinhalb Minuten den zweiten Teil einleitet. Hier kommt Reggae ins Spiel. Ein Song, dem man die Länge nicht anmerkt, auch durch den klaren Bruch in der Mitte. Tylers Gesang ist mit Stücken von früheren Alben nicht zu vergleichen, offenbar hat er seine Range gefunden und sich deutlich verbessert. Fana Hues gibt den weiblichen Gegenpart und schmiedet sich problemlos an den Song an. Natürlich wird noch gerappt und mit einem für den Track angemessenen Outro der erste von zwei überlangen Songs ausgeklungen. SWEET / I THOUGHT YOU WANTED TO DANCE hätte auch auf Flower Boy gepasst.

MOMMA TALK

Ja, da kommt genau das daher, was der Titel verspricht. Eine echte Löwenmama, die ihre Kinder in jeder Situation verteidigt.

RISE

Für die Hater. Strophen die viel Interpretationsspielraum offenlassen und dementsprechend niemand explizit ansprechen. Über Tylers Vielseitigkeit muss nicht mehr viel gesprochen werden, RISE ist aber wieder eines dieser Beispiele, das man jemandem ohne Bezug zu Tyler, the Creator ohne Bedenken vorspielen kann, um zu zeigen, wie sich der Sound des Grammy-Gewinners anhört. Funk trifft Rap trifft RnB und Pop sowie Jazz.

BLESSED

Klassisches Skit. Tyler verrät seine Zukunftspläne, offenbar gibt’s bald ein paar Filme in denen er zu sehen sein wird. Und seine Hautpflege wird auch behandelt.

JUGGERNAUT

Wir verlassen das heitere Schiff und brechen in einen kleinen musikalischen Sturm ein. Natürlich nur auf den Beat bezogen. Lil Uzi Vert und Pharrell Williams schauen vorbei. Diesmal hätte Tyler aber Letzterem den Gesangspart in der Hook überlassen sollen, sie kommt leider sehr schief daher.

WILSHIRE

Der zweite Track der mit 8:35 Minuten so gar nicht mehr ins Spotify-Zeitalter passt. Tylers Gefühlswelt bleibt kompliziert. Wunderbares Storytelling über eine verzwickte Situation um eine Angebetete, die zugleich die Freundin eines seiner Freunde ist. Mehr soll gar nicht verraten werden, dieses Stück sollte man einfach genießen.

SAFARI

Der Schluss, es wird verreist. Wieder Bläser, verträumtes Klavier und ein gepitchter Tyler. Durch die Flöten und die Bläser kommt man einer echten Safari sehr nahe. Die hat man nach dieses Album generell hinter sich.

FAZIT

Er hat es tatsächlich wieder getan und auch geschafft: Tyler, The Creator untermalt seinen Status als HipHop-Größe der vergangenen Jahre. Auf Call Me If You Get Lost bleibt er seinem eingeschlagenen Weg treu, nimmt aber auch wieder Vergangenheitsabstecher mit und damit auch wieder mehr Rap-Tracks auf die Platte. Die besten Songs sind dennoch jene, auf denen er seine Geschichten erzählt: SWEET / I THOUGHT YOU WANTED TO DANCE und WILSHIRE stechen noch einmal mehr hervor, auch wenn man mit RISE, LUMBERJACK oder MANIFESTO auch noch einige Banger geboten bekommt. Tyler baut seinen Run der starken Alben also auf drei aus. Ein Werk, dass nicht nur HipHop-Liebhaber gehört haben sollten.

4 1/2 von 5 Pandroids

Schreibe einen Kommentar