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Drangsal – Exit Strategy

© Caroline International

Was macht man wenn man Max Gruber heißt und Popstar werden will? Man sucht sich einen neuen Namen. Und so hat Max Gruber die Kunstfigur Drangsal erschaffen, sein alter Ego. Seit einigen Jahren drangsaliert uns Drangsal mittlerweile mit seiner eingängigen Musik, jetzt ist sein drittes Album Exit Strategy erschienen, auf dem er nochmal neue Wege einschlägt und sich aber trotzdem wieder mit dem Vorwurf der Farn Urlaub-Kopie herumschlagen muss. Legen wir los.

2018 hat es mir irgendwann eine Nummer hereingespült. Der Turmbau zu Babel, das habe ich in Dauerschleife gehört, einer meiner absoluten Lieblingstracks des Jahres und die erste Berührung mit Drangsal. Still wurde es um den mittlerweile 28-Jährigen nicht. Zwei Alben, von der Kritik durchaus gelobt oder getadelt, auf jeden Fall hat er mit seiner Musik etwas ausgelöst. Ein einfacher Zeitgenosse war Drangsal nicht, er legte sich mit einigen Szene-Größen an, verhielt sich, wie er selbst sagte, wie ein Arschloch. Natürlich liegt jedem Verhalten eine Ursache zu Grunde, in seinem Fall sticht die Kindheit ins Auge, die er an der französischen Grenze verbrachte und in der er früh die Erfahrungen von Gewalt und Eskapaden machen musste.


Das hört man immer wieder in seinen Texten, das sieht man auf seinem Cover oder an seinem Stil. Drangsal kann düster sein. Gleichzeitig aber auch sehr friedvoll. Exit Strategy strotzt voller harmonischen Momenten, voller gewaltiger Synthis und Ohrwürmern, die alle das Zeug haben, dass man sie noch nach dem drölften Festivalbier mitgrölen kann. Die oberflächliche Harmonie kann man schnell wegkratzen um die tiefgängigen Texte zu erkennen. Mentale Gesundheit ist auch bei ihm das zentrale Motiv seines Schaffens, sein Zugang ein erschreckend ehrlicher.

Drangsal beschreibt seinen Zustand in nahezu jeder Nummer: Im Opener Escape Fantasy, das mit einem verträumten Synthi aufschlägt, heißt es im Refrain etwa: „Ich weiß doch gar nicht, wer ich bin“. Er arbeitet hier seine Vergangenheit auf. Eine Suche nach sich selbst, die sich durch das Album und vermutlich auch durch sein Leben ziehen. Und es scheint eine chaotische Suche zu sein, das Synthi-Thema bleibt, es wird aber von Streichern unterstützt, die dem Song eine weirde Fülle geben. Der titelgebende Song Exit Strategy erinnert an Maximo Park oder viel mehr noch an Polarkreis 18 mit Chören aus den größten Donots-Nummern. Aber vom Gesang hört man hier erstmals wieder den so oft zitierten Farin Urlaub-Vergleich. Ein Song der stark ins Ohr geht, auch auf Grund seiner Oh-oh-oh-Chöre aber auch nach mehr strebt. Die Synthis klatschen dir direkt in die Fresse, vielleicht ein bisschen zu übertrieben, aber irgendwie trotzdem passend. Und wenn es darum geht, dass die „Welt in die Einzelteile zerfällt“, dann kann sich das scho so anhören. „Bleib doch noch eine Weile bei mir“, bittet Drangsal. Das machen wir natürlich.

Eine der Vorabsingles war Mädchen sind die schönsten Jungs, ein Lied der mit Gender-Normen brechen will und gleichzeitig ein fantastischer Pop-Song ist. Der hat alles, Aussage, ein schönes Break, Streicher, richtig feines Gitarrengezupfe, Soli, die Oh-oh-ohs, einfach ein gutes Arrangement. Dass die Thematik nicht jedem schmeckt bzw. der gewählte Ansatz nicht vollends unterstützt wurde, ist wieder ein anderes Thema. Der Song an sich macht viel Freude.

Der Synthi ist neben Drangsals Texten der Star des Albums. Manchmal wird’s richtig dub-mäßig, manchmal dann wieder reduzierter. Liedrian bildet ein nächstes Highlight des Albums. Ein Song eines Psychopathen. Erst wenn die Glock an deinen Gaumen klopft, das Blut dir aus der Nase tropft, ergreift es dich: Du liebst auch mich. Ja gut, das ist nicht sehr nett. Aber wie er das macht, ist ganz große Klasse. Riffs, Geklatsche und ein Gesangsvortrag der ansteckt. Wenn man will, kann man hier ein wenig die Ärzte raushören. Muss man aber nicht, dafür ist der Synthi doch wieder zu stark.

„Ich bin so wie ich bin, Besser du nimmst das jetzt hin“ – auch wenn er nicht so schön wie du bist, haben wir hier auch wieder eine sehr gelungene New Wave-Nummer. Generell sind alle Lieder groß und fett angefüllt, Produzent Patrik Majer, der schon mit Wir sind Helden und Rosenstolz zusammen arbeitete, leistete auch hier große Arbeit. Urlaub von Mir ist wieder mal einer dieser Songs, in die man sich hineinlegen will oder die Arme ausbreitet um ein wenig zu fliegen. Das Thema ist düster, die Depression hat aber selten so gut geklungen, so versöhnlich, wie hier.

Er geht den gewählten Uptempo-Weg mit Schnuckel weiter, das jetzt wirklich ein Farin Urlaub-Song sein könnte. Ein Lied über eine Internetbekanntschaft, vielleicht auch Liebe, in der prominente Namen gereimt werden. Insgesamt böse, aber eben auch wunderbar.

Nachdem er mit Ein Lied geht nie kaputt noch eine Wahrheit ausspricht, kommt mit Karussell schon das Finale daher, das wie so oft in letzter Zeit, noch einmal ganz groß ausfällt. Da kommt der große Pathos, in einem Song, der sich in mehrere Teile gliedert, einem ruhigen Anfang und einem fulminanten Ende. Drangsals Leben scheint sich so zu drehen, wie das Karussell am Spielplatz.


Er trifft fast immer den richtigen Punkt. Nur bei Benzoe schießt er über das Ziel hinaus. Da nerven die Oh-Oh-Ohs und der Refrain passt irgendwie nicht zu der an sich coolen und gelungenen Strophe. Wirklich, der Refrain erinnert an die ersten Nummern von Pietro Lombardi nach seinem DSDS-Sieg. Zu viel zu eintöniges Ohohohoh.

Aber lassen wir das. Exit Strategy ist ein wirklich, wirklich gutes, deutschsprachiges Popalbum, das einen roten Faden hat und alles andere als eintönig ist. Man versteht Drangsal ein wenig besser, er lädt die Hörer:innen zum Mitsingen ein, ob er will oder nicht. Ein Album, dass dunkel ausschaut, aber sehr hell scheint. Wenn man will: Harte Schale, weicher Kern trifft wohl am besten auf diese Scheibe zu.

4/5 Pandriods

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