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BRANDI CARLILE – IN THESE SILENT DAYS

© Elektra Records

Wer hat sechs Grammys und wird immer noch grausam unterschätzt? Richtig, Brandi Carlile. Die US-amerikanische Sängerin veröffentlichte vor wenigen Wochen ihr siebtes Studioalbum In These Silent Days und könnte damit bei den kommenden Grammy-Awards wieder ordentlich abräumen. Was zeichnet sie aus?

BACKGROUND

Seit 16 Jahren ist Brandi Carlile eine feste Größe in der Americana- bzw. Folk-Szene. Die 40-Jährige veröffentlichte bisher sechs Alben, durchaus mit Erfolg bei den Kritikern. Ihr letztes Werk By the Way, I Forgive You wurde bei den Grammys 2019 als bestes Album nominiert und als bestes Americana-Album ausgezeichnet. Aufgewachsen in Ravensdale, Washington, spielte die Natur und die Musik früh eine große Rolle. Richtig zu musizieren, begann sie aber erst mit 17 Jahren, als sie sich selbst das Klavier- und Gitarre-Spiel beibrachte. Ihre Stärke liegt im Songwriting, das sich um sehr persönliche Dinge dreht – etwa ihre Ehe mit ihrer Frau bzw. um ihre beiden Kinder.

REVIEW

In These Silent Days dreht sich um Zweifel, um Trennungen, um die zur Gewohnheit gewordene Liebe und Ratschläge, die sie ihrem früheren Ich oder ihren Kindern mitgeben will. Der Opener Right on Time handelt davon, etwas im Nachhinein Falsches in einem bestimmten Moment getan zu haben – weil es sich richtig anfühlte. Eine große Ballade – zudem für Grammys nominiert – mit leichten Rockeinlagen, vor allem aber großem Gesang. Brandi hat eine große, volle Stimme und weiß auch damit umzugehen.

Das Album schlägt mit verschiedenen Genres auf: ein wenig Country – wie in This Time Tomorrow – eine Liebesbekundung an ihre Kinder. Dezente Gitarre, Mehrstimmigkeit und ein Text, der schon arg berührt. Also Menschen, die etwas näher am Wasser gebaut sind, könnten mit Tränen kämpfen müssen. Ein wenig Gospel hört man in Letter To The Past heraus, einer weiteren massiven Ballade, die sich aber nicht größer macht, als sie ist. Pastorale Chöre werden ganz gezielt eingesetzt, sodass die nötige Stimmung aufkommt.

Folk darf auch nicht fehlen. When You’re Wrong handelt von einer geliebten Person und den begangenen Fehlern, die aber trotzdem nicht davon abhalten sollen, die Person auch noch zu lieben. Mama Werewolf bläst musikalisch in ein ähnliches Horn, selten ist man ihren Bluegrass-Wurzeln näher als hier. Sie kann Tempo und Drama aufbauen und damit spielen. Stay Gentle bildet die kürzeste Nummer des Albums, wartet mit einem Duett zwischen der Sängerin und ihrer akustischen Gitarre auf und besticht durch seine schlichte Schönheit.

Brandi Carlile orientiert sich prinzipiell an keinen anderen Künstler:innen, um den Vergleich mit Joni Mitchell kommt man aber nicht herum. You and Me On The Rock könnte auch von Mitchell stammen, macht auf ganzer Linie Freude und beweist, dass man auch mit relativ einfachen und unkomplizierten Arrangements einen echten Genre-Hit schreiben kann.

Brandi kann auch rockiger. Die Gitarren werden in Broken Horses ausgepackt, sie galoppieren mit dem Klavier zusammen aus und bilden das Grundgerüst für ein absolutes Brett an hochklassiger Musik. Carlile singt sich fünf Minuten die Seele aus dem Leib, kann – wie in jedem anderen Lied ­– die richtige Emotion in ihre Stimme bringen und so dafür sorgen, dass man sich nur immer und immer wieder fragt, warum diese Künstlerin noch nicht in Adele-Sphären aufgestiegen ist. In Sinners, Saints and Fools droht sie es mit der Rockschiene fast zu übertreiben. Der Track hat eine spannende Geschichte, um einen Mann zu bieten, der sich in seinem irdischen Leben weigerte, Flüchtlingen zu helfen und an den Toren zum Himmel selbst auf Einlass warten muss. Ordentliche Streicher werden im Laufe der viereinhalb Minuten-Nummer von einer Rock-Besetzung abgelöst. Im ersten Moment überrascht Brandi, im zweiten freundet man sich mit dem Arrangement an. Den Closer Throwing Good After Bad gestaltet sie wieder ruhiger, aber nicht weniger wuchtig. Eine große Ballade zum Abschluss.

FAZIT

Man sollte Americana hören – wegen Brandi Carlile. Vieles auf diesem Album hätte man sich von Adeles neuem Album 30 gewünscht: Große Balladen, viele Emotionen aber ebenso viel Tempo und Mut. Brandi Carlile darf nicht mehr ignoriert oder gar unterschätzt oder auf Country reduziert werden. In These Silent Days besteht den Authentizitäts-Test auf ganzer Linie. Fast perfekt.

4,5/5 Pandroids (9/10)

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