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LUCY DACUS – HOME VIDEO

© Matador Records

Wie war eure Kindheit so? Unaufgeregt? Traumatisch (hoffentlich nicht)? Oder religiös geprägt, wie im Fall von Lucy Dacus. Auf ihrem aktuellen Album Home Video verarbeitet sie ihre Kindheit und Jugend im konservativen Umfeld Virginias.

BACKGROUND

Lucy Dacus, einer der drei Köpfe der Supergroup Boygenius um Phoebe Bridgers und Julien Baker, wuchs in Norfolk, Virgina auf und startete ihre musikalische Karriere im März 2015. Sie stammt aus einem sehr religiösen Elternhaus, das auch immer wieder die thematische Vorlage für ihre Texte bildet. So dreht sich das neue Album Home Video hauptsächlich um das Erwachsenwerden als queere Person in Virginia. 2016 veröffentlichte sie ihr Debüt No Burden, 2018 folgte Historian bzw. die EP mit Boygenius. Ihr Sound wird im Gegensatz zu jenem ihrer Kolleginnen weniger durch laute Gitarren als vielmehr durch den gekonnten Einsatz passender Stimmungen geprägt. Wie Bridgers und Baker, besticht Lucy vor allem als Geschichtenerzählerin.

https://youtu.be/qayLdaTWNm8

REVIEW

Vergangenheitsbewältigung steht im Zentrum dieses Albums. Das wird mitunter natürlich unangenehm, es werden alte Wunden aufgebohrt. Unschuldig oder sehr direkt spricht Lucy Dacus über ihre Vergangenheit. Ein perfektes Bild von Lucys musikalischen und künstlerischen Schaffen kann man sich schon im Opener Hot & Heavy machen. Sachte startet sie die Reise zur Erkenntnis, dass man die schönen Seiten der Vergangenheit nicht mehr zurückbekommt. Sie baut den Song gekonnt auf, lässt einen Drive entstehen, die Synthis im letzten Songdrittel unterstützen die Gitarren nicht nur, sondern ergänzen sie für Tiefe.

Wenn Hot & Heavy noch durch Wumms auffallen konnte, reduziert Lucy den Lärmpegel in Christine deutlich. Klavier, akustische Gitarre, ein dezenter Synthi und am Ende sogar noch Streicher – dieser Song will ein bestimmtes Gefühl auslösen. Sie singt an eine Freundin, dass sie sich doch bitte noch mal überlegen sollte, den unwürdigen Partner zu heiraten. Kann man so machen. You can’t feel it for the first time a second time. Zu dieser Erkenntnis kommt sie im energiegeladenen First Time. Der Synthi und die E-Gitarre umgarnen sich, das Schlagzeug peitscht durch die Gedanken von Dacus. Definitiv einer der besten Songs über das berühmt-berüchtigte Erste Mal.

Aber – nicht vergessen – Home Video dreht sich auch um eine christliche Erziehung. In VBS (was nichts geringeres als Vacation Bible School bedeutet) nimmt sie uns mit ins Ferienlager, zu den Versuchen näher zu Gott zu kommen und am Ende mit einem Slayer-Fan zusammenkommt. Textlich ein Brett, musikalisch tut sich nicht viel Neues auf.

Sanft und mehrstimmig widmet sie sich in Cartwheel mit akustischer Gitarre und einem größer werdenden Arrangement der schmerhaften Erinnerung, als ihre Freundinnen begannen, sich für Jungs zu interessieren – noch bevor sie es tat. Vor allem, als ihre beste Freundin ihr von ihrer ersten sexuellen Erfahrung erzählte, fühlte sich Lucy betrogen. Sie wollte einfach nicht so rasch erwachsen werden.

Lange nur live gespielt schafft es Thumbs auf Anraten von Baker und Bridgers endlich auch auf eine Platte. Eine Ballade, vorgetragen mit höchster Zärtlichkeit, getragen von dezenten Synthis. Sie widmet sich ihrem Vater, der selten anwesend war, aber sie immer noch nicht loslässt. I would kill him / if you let me beschwört sie. Schnell und einfach, während sie ihre Fingernägel in das Knie ihres Freundes bohrt.

Na, was machen wir jetzt? Gehen wir jetzt endlich mal auf ein Date oder passiert da nichts mehr? Going Going Gone verarbeitet einen Flirt, wagt einen düsteren Blick in die Zukunft und lässt sich dabei von einem Chor um Julien Baker und Phoebe Bridgers unterstützen. Ein kleines, feines Liedchen.

Fremd wirkt Partner In Crime allein schon, weil Dacus auf Autotune-Dienste zurückgreift. Dieses Experiment glückt überraschend gut, die düstere Geschichte um eine komplizierte Liebesbeziehung kann so noch besser umgesetzt werden. Sie scheint um Antworten und um ein Happy End zu flehen – wohl vergeblich. Die Gitarre sägt sich durch die Gehörgänge, je schriller, desto besser. So kann man ein gebrochenes Herz musikalisch darstellen.

Um sich zu erholen, schmeißt Lucy in Brando die poppigsten Töne des Albums um sich. Wohltuend und erleichternd, vor allem im Hinblick auf das Thema: Die Pausenhof-Angeber bekommen auf gewitzte Art ihr Fett weg. Auch wenn sie glauben alles zu wissen, bleibt ihnen schlussendlich nur die komplette Planlosigkeit. Brando galoppiert auf andere Art und Weise, kommt aber auch zu einem versöhnlichen Schluss.

Wie schon Phoebe Bridgers auf Punisher, widmet sich Dacus auf Plase Stay der Rettung einer Freundin in akuter Not. Psychische Gesundheit und die Probleme damit spielt in den Leben aller drei Sängerinnen von Boygenius eine große Rolle, hier macht sie einer Freundin klar, dass sie es wert ist, weiterzuleben. Harter Tobak, den sie zusammen mit Baker und Bridgers besingt und dessen Instrumental minimalistisch mit Gitarro und Klavier ausfällt.

Ein Epos beschließt das dritte Album: Triple Dog Dare baut sich gemütlich auf und wirbelt dann alles durcheinander. Eine Geschichte über eine Liebe, die nicht sein konnte, die nicht sein wollte, weil viele äußere Faktoren dagegensprachen. Knapp acht Minuten entlädt sie ihre Gedanken, versucht damit abzuschließen und zeigt dabei ihr ganzes Können. Alles was hier angefasst wird, funktioniert. Der Einsatz der Gitarren, das Schlagzeug, die Chöre. Ein wunderbarer Schluss.

FAZIT

Die größte Stärke dieses Albums liegt in Lucys Songwriting. Die Texte und der Aufbau der Songs sind beeindruckend, die Gefühle und Stimmungen die Lucy transportiert sehr glaubhaft. Allerdings schwächelt sie an einigen Stellen mit ihrer stimmlichen Leistung. Vieles klingt ähnlich, selten geht sie in Felder, die sie an ihre Grenzen bringen. Better safe than sorry. So steht letztendlich ein wirklich gutes, an manchen Stellen aber noch ausbaufähiges Album zu Buche.

4/5 Pandroids (8/10)

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