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SOUL GLO – DIASPORA PROBLEMS

© Epitaph

Genre: Noise, Hardcore

Punkrock hat schon lange nicht mehr so wild, ungehemmt und grenzenlos geklungen, wie auf dem neuen Album von Soul Glo.

BACKGROUND

Soul Glo stammt aus Philadelphia und stellt eine vierköpfige Hardcore-Punkband dar. 2014 gegründet, konnten sie sich in den vergangenen Jahren mit ihrer hohen Energie, den gesellschaftskritischen Texten und ihrem einzigartigen Sound einen Namen in der Szene machen, der sie jetzt schlussendlich zum großen Label Epitaph Records brachte. Diaspora Problems ist das vierte Album und dürfte die Gruppe noch sehr, sehr, sehr viel größer machen.

REVIEW

40 Minuten werden die Hörer herausgefordert. Von der ersten Sekunde an wird es laut, werden die gängigen Hörmuster durchbrochen und auf jegliche kurze Verschnaufpause geschissen. Der Opener Gold Chain Punk (whogonbeatmyass) weist dabei noch in Nuancen harmonische Momente auf, das Chaos steht aber schon hier im Mittelpunkt. Die Band hat einen eigenen Zugang zum Überbringen ihrer Botschaften gefunden und wählt hauptsächlich die Ironie als Stilmittel in ihren Texten. Ganz vorne steht aber noch eine Interpretation der bekannten 20th Century Fox-Melodie, die alsbald von den tiefen und mächtigen Gitarren und dem Geschrei des Sängers abgelöst wird. Ja, Screamo gibt’s hier praktisch durchgehend zu hören, Streetpunk in Reinkultur.

Aber das allein wäre noch zu wenig und auch zu einfach für eine Band wie Soul Gol. Auf Diaspora Problems spielen sie sich durch den Oldschool Hardcore, verknüpfen ihn aber auch mit Hip-Hop-Einflüssen, was eine extrem feine, wenn auch krass ungewohnte Mischung entstehen lässt. Ein Track wie Driponomics lebt gleichermaßen vom Rap von Featuregast Mother Maryrose als auch von den Shouts, die von der Band kommen und die sich den Beat zu Eigen machen.

So einfach wie in Driponomics sind die verschiedenen Genres selten herauszuhören. Meistens verschwimmt alles in einen großen Strudel, dem man nicht entrinnen kann, der eine Saugkraft größer als jede Babywindel vorweisen kann. Es kracht und kracht und kracht, es ist laut – aber es klingt alles wie aus einem Guss, es scheint zu passen. Trotzdem könnte man hie und da eine ganz kurze Pause gebrauchen, die hohe Pace der Platte verschlingt Kraftreserven in hohem Ausmaß. Die Kreativität der vier Bandmitglieder sticht aber hervor, die schnellen Wechsel, das Gleiten zwischen den Genres ist bemerkenswert.

Wenn man verstehen möchte, was Sänger Pierce Jordan zum Besten gibt, muss man parallel die Lyrics öffnen. Früher oder später bekommt man dann ein bisschen ein Ohr für seine Shouts. Unterm Strich bleiben harte Themen mit bitterböser Intonation übrig: Die Probleme der schwarzen Bevölkerung in den USA bilden das zentrale Thema, werden aber nicht unbedingt mit großer Ernsthaftigkeit erzählt. Da kommen dann schon Tracks wie Jump“ (Or get jumped!!!) oder der Closer Spiritual Level of Gang Shit heraus, die schon am Titel erkennen lassen, wie sie sich den Problemen annehmen. Humor als Ausweg vor aussichtlosen Umständen. Neben den großen gesellschaftlichen Aspekten widmet sich Soul Glo auch persönlichen Zweifeln und Traumata, mal auf Grund psychischer, mal auf Grund finanzieller Herausforderungen. Die Kritik am Materialismus gehört ohnehin zum Einmaleins des Punk. Man sollte alle Lyrics unbedingt auschecken.

Schön ist’s auch, wen sich Jordan noch mal räuspert und dann binnen weniger Sekunden von null auf hundert beschleunigt, wovon man etwa in Coming Correct Is Cheaper überzeugen kann. Hardcore-Riffs, ein paar Bläser und Hörner gibt’s dann schon in Thumbsucker, nur um zum Schluss dann noch zum Deathmetal zu switchen. In ein paar Momenten kann man Angst bekommen, wie etwa in John L, was an den Drums und den Noise-Riffs liegt. Der persönlichste Track dürfte GODBLESSYALLREALGOOD sein, auf dem Jordan sich zahlreichen ehemaligen Weggefährten widmet. Freundlich ist das dann selten. Beide Songs fallen zudem mit den am wenigsten überraschenden Momenten des Albums auf.

FAZIT

Diaspora Problems ist hart. Richtig hart – auf mehreren Ebenen: Einerseits, weil sie Sound machen, der nur die Richtung vorwärts kennt, andererseits, weil man manchmal fast eine Pause braucht, um dieses herausfordernde Album auch stemmen zu können. Vielleicht muss man sich erst anfreunden mit den Shouts, dem Noise, der Tatsache, dass man nicht jedes Wort verstehen wird. Wenn man sich aber öffnet, steht eines der besten aktuellen Punkalben vor einem, das das Genre noch einmal ordentlich durchwirbelt. Die Pace ist unendlich hoch, die Innovationen und die Kreativität von Soul Glo grenzenlos. Diaspora Problems ist wuchtig, glänzt auch durch Lyrics und Produktion. Wer auf Hardcore-Punk steht, wird es lieben.

9,1/10

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