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OSKAR HAAG – TEENAGE LULLABIES

© Lullaby Records / Sony

Wer als Wunderkind und größte österreichische Pophoffnung bezeichnet wird, muss schon etwas draufhaben. Da Superlativen selten irgendwem irgendetwas bringen, fokussieren wir uns auf die Musik des 17-jährigen Wahlwieners. Teenage Lullabies, das Debütalbum, ist da – mit 13 Tracks für eine gute Dreiviertelstunde. Und ja – das Talent Haags ist nicht zu überhören.

BACKGROUND

2005 geboren, wuchs Oskar Haag in Klagenfurt auf. Die Kreativität liegt in der Familie, Vater Oliver Welter ist Mitglied der Indie-Band Naked Lunch, Mutter Michaela Haag Kostüm- und Maskenbildnerin. Ein erster Live-Auftritt fand im Rahmen des Popfest Wien 2021 statt, als er als Abschluss-Act in der Karlskirche auftreten durfte. Ziemlich stark, für einen Newcomer. Haag ist nicht nur Musiker, sondern auch Schauspieler, steht auf der Bühne des Wiener Burgtheaters und versucht die beiden Leidenschaften unter einen Hut zu bekommen. Für einen 17-Jährigen hat er schon jetzt mehr erreicht, als sich viele erträumen könnten.

Der Auftritt am Popfest war die Initialzündung für die Karriere: Die ersten Singles wurden schon im Sommer 2021 veröffentlicht und vor allem im österreichischen Alternativradiosender FM4 glorifiziert – Stargazing schoss schnurstracks auf Platz 1 der FM4-Charts. Oskar ging mit Tocotronic und Avec auf Tour, ehe er jetzt zum ersten Mal auf einer Solotour die Bühnen erobern wird. Die Schule hat er fürs erste der Karriere geopfert. Seine musikalischen Vorbilder sind die Beatles, von Mainstream-Funktionären, die ihm die Karriere planen wollen hält er Abstand. Oskar lackiert sich die Nägel, trägt manchmal ein Kleid und schaut gern ein bisschen verplant aus – künstlerisch eben – was ihm den Vergleich mit Harry Styles einbrachte. Auch ein Vorbild. Wie auch David Bowie. Man kann also vermuten, wie Teenage Lullabies klingt.

Und man darf nicht vergessen: Oskar ist erst 17 Jahre jung. Und die Welt als 17-Jähriger kann ziemlich beschissen sein. Die generationenübergreifenden und globalen Krisen werden plötzlich nahbar und die Liebe kann so richtig übel reinkicken. So kann sich schon eine spätpubertäre Müdigkeit ausbreiten. Die man sich am besten musikalisch von der Seele schreibt.

REVIEW

Haag vertraut sich selbst und seinen Fähigkeiten. Seine Gitarre ist sein bester Freund, seine Stimme schon ziemlich markant für so junges Alter. Er startet in seine jugendlichen Wiegenlieder mit Leaving To Monaco Or Wherever The Fuck We Want To Go. Inspiriert von einer Schulkollegin, die ausbrach, um die Welt zu erobern, macht sich auch Oskar auf die Reise: Ein Song, der von Beginn an nach vorne zieht, der die Drums und die Synthis in das Zentrum stellt und Oskar schwermütig dazu singen lässt. Das Klavier und die Synthis sind aufwendig arrangiert, erzeugen Rastlosigkeit aber trotzdem vertraute Wärme. Oskars Falsett lässt das Fernweh real werden und vom Meer träumen. Diese drei Minuten allein reichen schon, um dem massiven Hype dem sich Haag ausgesetzt fühlt, gerecht zu werden. Der Song ist nicht nur hervorragender Opener des Albums, sondern einer der besten Indie-Tracks des Jahres. Alles passt zusammen, ist haargenau aufeinander abgestimmt, trifft die richtigen Stellen, lässt das Cembalo zu einem extrem coolen Instrument werden – eine echte Hymne.

Schon nach dem ersten Track steht also fest: Es muss nicht nur die akustische Gitarre sein. Die kommt aber rasch wieder zurück, wenn er in Lady Sun and Mr. Moon über die Liebe singt. When they both sleep, they dream of a world / In which they have more time togehter, than they have now / Lady Sun and Mr. Moon are lovers. Sehr bitter, diese Fernbeziehung. Zart und vorsichtig startet er in das Lied, baut Stimmung auf, wechselt vom Picking zum Strumming, baut hie und da noch ein paar stimmliche Verstärkungen ein – fast schon pastoral – und holt ein Klavier herein. Erinnert an Pete Doherty und wird dem Wiegenlied-Thema gerecht.

Es bedarf schon einem außerordentlichen musikalischen Gespür, Texte und Lieder nicht in eine einzige Richtung abdriften zu lassen, wenn man eine Platte Teenage Lullabies nennt. Oskar kann die Pace stets hochhalten, selbst wenn er sich nur auf sich und seine Gitarre reduziert. Hold Me Tight hat das Potential bei Lagerfeuern zum großen Bringer zu werden. Er fleht darum, gehalten zu werden und endlich seine Ängste verlieren zu können. Diese panischen Gedanken werden von ihm als schwebende Chöre dargestellt, wie Geister schweben sie über seiner Musik. Dabei hat er in den Tiefen Tonlagen seine Stärke gefunden, sein Fundament lässt ihn die Geister vertreiben. Sehr romantisch, aber nicht kitschig.

Man kann zu seiner Musik schunkeln, egal ob er mit oder ohne Saiteninstrument agiert. Sober hat einen simplen, aber sehr eingängigen elektronischen Beat parat und eine Orgel, die über den Dingen steht. Der Morgen danach wird besungen, wo man nie dazukommt, auf Wiedersehen zu sagen. „Aber ruf an, wenn du wieder nüchtern bist“. Oskar gibt sich ein Echo, klingt ein bisschen verzweifelt. Der Weltschmerz ist real.

Ein kleines bisschen Harry Styles blitzt dann tatsächlich durch: Happy We’ve Met weist in kleinen Momenten ähnliche Intonationen auf, beschreibt wohl eine Beziehungspause, zumindest aber eine herausfordernde Zeit. Immer wenn man glaubt, es passiert nicht mehr viel, kommt doch noch etwas überraschendes daher, wie in diesem Fall ein Klavier und ein dezentes Schlaginstrument samt Synthi.

Die musikalische Vielseitigkeit Oskars wird auch in Tracks wie Love Me For Tonight hörbar. Wie in den 50er Jahren schmachtet er über die Liebe. Chöre sind da, Strumming ebenso, alles sehr ansteckend und fein umgesetzt, vor allem aber leicht. Einer der Nummern, die man am schnellsten ins Herz schließen wird und die einen nicht mehr loslässt.

Can you remember? / When we were younger / And had no worries at all fragt er in Black Dresses, dessen Thema vom Klavier dominiert und von den Drums angefeuert wird. Oskar verliert sich in den Erinnerungen, er schwelgt in ihnen und baut Stimmung mit Orgel und klarem Piano auf. Wie gesagt, man kann zu seiner Musik schunkeln, auch wenn sie – wie hier – durchaus eine gewisse dunkle Farbe trägt. Auch hier hält der Titel, was er verspricht – das Mysteriöse dringt durch.

Man kann auch ein bisschen Giant Rooks heraushören – Tired Eyes hat sehr feine Strophen zu bieten und endet im Refrain in einer vollkommenen Zerstörung. Oskar verzerrt Gitarren und Stimmen, singt so, dass man den Text nur bei sehr genauem Hinhören entziffern kann. Die Schlaflos- und Rastlosigkeit wird von ihm so beschrieben. Passend.

Oskar schießt nur einmal richtig über das Ziel hinaus. In Light möchte er zu viele Dinge unter einen Hut bekommen. Dabei startet der Song sehr schön, mit einem kräftigen Klavier. Oskar verlässt stimmlich seine gewohnten Wege, wagt sich ins Falsett, was sich in diesem Fall als Fehler herausstellt. Die Idee ist gut – die dramatische Melodie hätte so noch vielseitiger gestaltet werden sollen – für eine gelungene Umsetzung fehlt es ihm noch an stimmlicher Sicherheit. Es sei ihm verziehen und Pluspunkte für den Mut gibt es so oder so.

Sein größter Hit bis dato ist natürlich Stargazing. Ein leichter Song, wieder wie von Doherty geschrieben, unbekümmert und einfach, trotzdem schlagkräftig. Drei Minuten, die im Flug vergehen, wo man mit ihm auf Sterne glotzen möchte und hofft, die ein oder andere Sternschnuppe erspähen zu können.

I’m so lost I found myself / in your eyes again. So hoppeln wir wie in einer Spieluhr durch In Your Eyes. Die Percussion macht wieder ihren Job als Antreiber, diesmal auf einem Rummelplatz unterschiedlichster Instrumente. Sie machen auch den Großteil des Songs aus, Oskars Gesang fällt diesmal etwas dezenter aus. Mit Don’t Just Exist Live und Lullaby schließt er sein Debütalbum. Don’t Just Exist Live dreht noch einmal ordentlich am Dynamikregler, vereint das Beste aller Haagscher Welten: Geerdeter Gesang, verträumte Synthis, mächtige Drums. So nah wie hier war er Harry Styles bisher noch nie. Lullaby gibt schließlich noch eine größere Gitarren-Ballade: I Love You, I Love You Too sind die letzten Worte des Albums. Passend – wieder einmal.

FAZIT

Das letzte Mal, dass ich von einem Debütalbum eines jungen Singer-Songwriters so begeistert war, ist elf Jahre her. Jake Bugg brachte damals sein Debüt auf den Markt, das eine ähnliche Anziehungskraft ausstrahlte, wie es Teenage Lullabies jetzt tut. Oskar Haags Talent ist nicht zu leugnen, sein Zugang und seine Umsetzung zur Musik schon jetzt beeindruckend. Die Platte stellt einen starken Einstieg in die Musikszene dar und macht extrem viel Vorfreude auf alles was noch kommt. Mit dem Alter wird die Experimentierfreude weiterwachsen. Oskar Haag hat ein feines Debüt erschaffen.

7,3/10