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JPEGMAFIA & DANNY BROWN –SCARING THE HOES

© PEGGY/AWAL

Genre: Experimental Hip-Hop

Wenn sich zwei innovative – vielleicht auch verrückte – Künstler zusammentun, kommt entweder etwas Grausames oder ziemlich Geniales heraus. Im Fall von JPEGMAFIA und Danny Brown gilt Letzteres. Scaring the Hoes ist eine 36 minutenlange Reizüberflutung der besonderen Art.

Was nicht zuletzt an den herausragenden Beats liegt. JPEGMAFIA, der ewige Tüftler, hat sich wieder einmal ordentlich ins Zeug gelegt und gesampelt, gemischt und geklaut was das Zeug hält. Dabei sticht die stetige Weiterentwicklung des 33-Jährigen besonders hervor, mit jedem neuen Projekt scheint Peggy seine Grenzen noch weiter nach oben zu schieben und das Maß an neuartigen und verrückten Klängen auszureizen. Dementsprechend weird klingt dieses Album. Aja, Danny Brown und seine besondere Stimmfarbe tut das Übrige.

Dieses Album hat überhaupt keinen Anspruch, irgendeine Form der Ruhe und Gelassenheit zu transportieren. Jeder Takt der 14 Tracks wird dem Hörer um die Ohren geworfen, alles flackert, brennt, surrt, blinkt oder biept. Was Scaring the Hoes letztendlich zu etwas Besonderem macht. Direkt nach Veröffentlichung wurde ordentlich über das Mixing debattiert, Danny Browns Parts seien nur schwer verständlich. Mittlerweile hat JPEGMAFIA eine aktualisierte Version der Platte zur Verfügung gestellt, wo man – abgesehen vom ständig umkreisenden Chaos – Danny in der Tat besser versteht als noch zuvor.

Solche 36 Minuten erlebt man nicht oft. Die Pace ist hoch, die Texte werden zur Nebensache und erst beim dritten, vierten, fünften Hördurchgang richtig verinnerlicht. Selbst die aufwändigen Schemes fallen nicht sofort auf. Peggy treibt uns bis zum Äußersten. „Schauen wir mal, wie weit ihr das alles verkraften könnt“, dürfte er sich denken.

Mit Lean Beef Patty beginnt dieser bewusst gesetzte Überforderungs-Trip. Keine zwei Minuten dauert der Song, der sich mit fetten Bässen und wahnsinnigen Details überladen präsentiert. Mehr fürs Ohr als für die Rap-Conscious-Seele. Wobei, stimmt auch nicht. Wer genau hinhört wird Peggy mit treffenden Lines seinen Part beenden hören: Watch your energy, watch what you tweet / You can go from Elon to Ye in a week, buddy. Danny Brown ergänzt: Spittin’ fast like Busta – genau, das hat uns noch gefehlt: Doubletime im Weirdmode.

Man sollte sich erst gar nicht die Mühe machen, dieses Album zu verstehen. Es lebt vom Unberechenbaren, vom Trotzigen, von purer Energie – und von der Fähigkeit, die Reizüberflutung so angenehm wie möglich zu gestalten. Steppa Pig knallt zwar auch wieder allerlei schrille Sequenzen heraus, lässt aber immer wieder eine kleine Verschnaufpause durchblitzen. Die Breaks und der Aufbau des Beats zeigen die Virtuosität von JPEGMafia. Im titelgebenden Track Scaring the Hoes spielen sie gewieft mit dem Thema – man soll endlich aufhören Angst einzuflößen – nur um mit einem extrem düsteren und verschrobenen Clap- und Saxophon-Beat um die Ecke zu kommen, der schlussendlich vom Bass übernommen wird. HOE bedeutet übrigens Heaven On Earth, zumindest will uns das der mitgeschickte Song weismachen.

Und so findet man auf dieser Platte Klänge, die man nicht sucht, aber sich trotzdem freut, wenn sie auftauchen: ein bisschen Computerspielgeklirr, wie in Garbage Pale Kids. Den Song Milkshake von Kelis auf Fentanyl Tester. Einen Track der Vontaze Burfict, einem der unfairsten NFL-Spieler aller Zeiten, gewidmet ist. Hier wird es sehr orchestral, die Bläser reißen das Hauptthema an sich, die Trompeten, Posaunen und Hörner duellieren sich mit Pauken und Streichern, während Peggy und Danny darüber rappen. Was die beiden sagen? Sehr viel: Aktuelle popkulturelle Themen finden sich wie auch das übliche Geflexe und der übertriebene Fortpflanzungstrieb des gemeinen Rappers. Sie nennen Tracks nach Muddy Waters, nach Jack Harlow oder Run the Jewels. Wer mitliest, wird aus dem Schmunzeln und Staunen nicht mehr herauskommen – die beiden Künstler knallen so feine Klingen heraus, so punktgenaue Beschreibungen und Wiedererkennungsmuster, dass man mit großer Freude dem nächsten Hördurchgang entgegenblickt. Weil – da gibt es sicher noch was zu entdecken.

Und diese Beats! Knie dich hinein in Kingdom Hearts Key und das Sample von Maaya Sakamoto aus dem Jahr 1996 zu Yakusoku wa iranai. Hör ihnen zu, wenn sie in God Loves You die Gospelchöre herausholen, mit tiefen Bässen unterlegen und ausschließlich über Geschlechtsverkehr rappen. Selten wurde ein Song von Ski Mask the Slump God besser in Szene gesetzt als von JPEGMafia auf diesem Song.

Auf Scaring the Hoes machen JPEGMafia und Danny Brown einfach was sie wollen. Und das ist richtig, richtig gut. Kompletter Abriss, komplette Eskalation. Komplett undefinierbar. Komplett zum Feiern.

9,1/10