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Indigo De Souza – Any Shape You Take

© Saddle Creek

Wenige Dinge sind beschissener als Herzschmerz. Es gibt viele verschiedene Ansätze mit Liebeskummer umzugehen und ihn zu bewältigen. Indigo De Souza wählt den kreativen Weg: Sie schreibt Musik. Ihr zweites Album Any Shape You Take ist aber weit mehr als nur eine Aneinanderreihung von Songs an die verflossene Liebe.

Langsam aber sicher glaube ich an eine kleine Grunge-Renaissance: Torres mit ihrem neuesten Album oder beabadoobee versuchen sich an diesem Genre oder leben es voll aus. Auch die amerikanische Band Indigo De Souza bläst in dieses Horn – zumindest auf einigen Tracks des zweiten Albums.

Dazu reicht nur ein kurzer Blick auf die Titelliste: Darker Than Death, Die/Cry, Real Pain, Bad Dream, Way Out, Kill Me: Ja, das liest sich alles sehr düster. Hinter den dunklen Titeln und den düsteren Fassaden finden sich aber durchaus farbenfrohe Songs, die sich in manchen Momenten zu gewaltigen Werken entwickeln.

Aber der Reihe nach. Im Opener 17 hört man nichts von Grunge oder dergleichen. Eine Synthi-Pop-Nummer mit viel Autotune im Refrain. Wer jetzt denkt: Hat er nicht von Grunge gesprochen? Ja, der kommt schon noch. Indigo De Souza schreibt über Liebe, das zieht sich durchs Album. Für einen einzigen ausgewählten Musikstil bleibt da kein Platz mehr. 17 überzeugt auf voller Länge, man glaubt ihr, wenn sie ihrem Darling ihre Hilfe anbietet und sich so weit wie möglich für ihn strecken will.

Offenbar haben diese Versprechen aber nichts genützt. In Darker Than Death versucht Indigo herauszufinden, warum alles den Bach runter gegangen ist. Was it something I said? wiederholt sie immer wieder, wohl in der Hoffnung, eine Antwort darauf zu finden. Unterstützung bekommt sie von tiefen Gitarren, die sich mit Synthis abwechseln. Entweder volle Laustärke oder bewusstes Zurücknehmen in den Hintergrund. Die Band spielt sich warm, Indigo vielleicht auch in eine kleine Trance.

Sicher, da hört man viel 90er Jahre raus. Indie verschreibt sich ja nur der eigenen Unabhängigkeit, die wird hier gelebt. In Die/Cry metarmophiert sie von And I’d rather die than see you cry zu I’d rather die before you die. Indigo grübelt über die Verhaltensmuster ihres Freundes und lässt ihre Gedanken zu eingängigen Gitarrenriffs in die Welt hinaus. Bei Pretty Pictures ist der Name Programm, auch wenn der Text eine andere Bedeutung hat, als man es vermuten würde. Hier wird einer zerbrochenen Beziehung nur ein kurz nachgetrauert, ehe der Blick wieder nach vorne gerichtet wird. Der große Rumms vergangener Nummern fehlt hier, wohl auch bewusst, Pretty Pictures glänzt durch seine Melancholie, die von E-Drums und Gitarren erzeugt wird.

Zur Mitte des Albums erlebt auch Indigo De Souza ihren Phoebe Bridgers-Moment. Real Pain baut sich von einem harmonischen, aber schmerzvollen Bedauern zu einer Schreiorgie auf, die sämtlichen Schmerz der Seele lösen soll. Die Schreie stammen von Fans der Band und wurden per Voicemail übermittelt. Dieses Chaos tut weh, gibt dem Titel aber die richtige Portion Ehrlichkeit. Per Cut wird es dann plötzlich still, ehe noch mal die Gitarrenriffs einsetzen und Indigo den finalen Refrain anstimmt. I wanna kick, wanna scream I wanna know it’s not my fault.

Eine richtig schwere Nummer bekommen wir bei Bad Dream, wieder hört man die 90er stark heraus. Sie fleht Please send help to me, der erlebte Albtraum ist viel zu real, als dass sie ihn einfach vergessen könnte. Indigos Gesangsleistung kann man hier nicht genug loben, sie verleiht dem Gesagten die nötige Stimmung, während auch der Rest der Band mit den jeweiligen Instrumenten diesen schlechten Traum hervorragend in Szene setzt.

Late Night Crawler knüpft nahtlos an den Vorgänger an, ein düsterer Track, dessen dunkle Wolkendecke manchmal von einem kleinen Harmonie-Sonnenstrahl durchbrochen wird. Eine der Vorab-Singles folgt mit Hold U. Keyboard, Drums und Gesang, nur ganz dezent wird hier begonnen. Indigo De Souza baut den Song so breit aus, dass am Ende der 4:16 Minuten einer der gemütlichsten und eingängigsten Indie-Pop/Rock-Songs des Jahres herauskommt. Unglaublich ansteckend, ein Lied zum Tanzen.

There are no monsters underneath your bed, And I’ll never be the only thing you love – diese bittere Erkenntnis macht sie in Way Out, in dem sie verzweifelt einen Weg aus dem Liebeskummer sucht. Keine Sorge, das klingt von mir ausgesprochen schlimmer als es eigentlich ist. Wieder schafft sie mit ihrer Musik, mit Glockenspiel-Elementen, eine eigene Atmosphäre hinter der dichten Gitarrenfront zu kreieren. Um am Ende sagen zu können: I wanna be a, I wanna be a light.

Zum Abschluss gibt’s dann noch die Aufforderung Kill me, slowly, take me with you. Ja, ihr wollet Grunge, hier ist er. Kill me, kill me, no one asked me / To feel this, fucked up / But here I am, fucked up, sind nur drei weitere Zeilen, die man aus diesem Prachtstück herauspicken kann. Der perfekte Closer für dieses Album: Bildlich, laut, ohne Rücksicht auf Verluste ehrlich – ein wunderbares Chaos, das sich sicher sehr gut macht, wenn man es mitsingen darf.

Indigo De Souzas zweites Album Any Shape You Take ist Musik zum Träumen, auch wenn man das vielleicht nicht beim ersten Hördurchgang sofort merkt. Sie geht erfrischend ehrlich und verletzlich an die Aufarbeitung ihres Liebeslebens und der Seelenreinigung heran und findet für ihre Worte die perfekte musikalische Begleitung. Ein Album, das düsterer aussieht als es klingt. Ein weiterer Beweis dafür, dass Grunge nicht immer im Untergang enden muss.

4/5 Pandroids

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