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Yebba – Dawn

© RCA

Heute widmen wir uns der außergewöhnlichen Geschichte einer jungen Sängerin, die schon seit Jahren im Konzert der ganz Großen mitspielen könnte. Abigail Elizabeth Smith – besser bekannt als Yebba, brachte heute ihr Debüt-Album Dawn heraus. Warum das so speziell ist und sie schon jetzt einen anderen Weg einschlug – das sehen wir uns jetzt genauer an.

Wenn es einen perfekten Zufall gibt, dann hat ihn Yebba letzte Woche getroffen. Auf Drakes mühsamen sechsten Studioalbum Certified Lover Boy konnte die 26-Jährige noch einen der besseren Tracks beisteuern. Das hat sie richtig aufschlagen lassen, mittlerweile hat sie über zehn Millionen Hörer:innen pro Monat auf Spotify. Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung des Debüt-Albums hätte nicht besser gewählt sein können.

Aber klären wir zunächst einmal, wer Yebba ist: 1995 als Abigail Smith in West Memphis, Arkansas geboren, wächst sie auf, wie man es in den Südstaaten der USA so macht: Mit einer  ordentlichen Portion Kirche. Ihr Vater war Prediger, sie selbst bekam in jungen Jahren auch schon diverse Rollen in der Kirchengemeinschaft aufgetragen. Aber gezählt hat für sie nur eines: Der Gesang und die Musik. Auch wenn sie es mittlerweile vermeidet im Kirchen-Jargon zu sprechen, erklärt sie der New York Times: „I really did feel the Lord say, from my stomach, ‘I do want you to be a singer.’ And I had this moment where I just stopped running, and I sat down and prayed, just laying in the dirt.“ Natürlich musste sie auch im Kirchenchor singen – bis sie rebellierte. Ihr Vater konnte sie aber immer wieder zum Bleiben überreden: “ I would say that I want to quit, and he would say ‘Abigail, who’s your favorite singer?’ And I’d say, ‘Aretha Franklin.’ ‘And what did Aretha do before she became Aretha Franklin?’ ‘She sang in her daddy’s church.’”  

Irgendwann kam sie aber doch weg vom Süden und schlug in New York auf. 2016 bekam dann die Welt erstmals ihr Talent zu sehen. My Mind – ein Livemitschnitt eines Auftritts bei SoFar Sounds – ging viral und sie rückte ins Rampenlicht. Und dann schlug das Schicksal mit voller Wucht zu: Nur eine Woche nach dem ersten Erfolg musste Abigail heimkehren. Ihre Mutter nahm sich das Leben. Um ihre Mutter zu ehren, wählte sie den Spitznamen, den ihr die Mutter gab als Künstlername: Yebba – Abbey rückwärts gelesen.

Trotz des grausamen Verlusts, blieb die Karriere nicht auf der Strecke sondern startete erst richtig. Ed Sheeran nahm sie unter Vertrag, sie nahm einen Song mit Sam Smith auf, kam bei Jess Glynne und Mumford & Sons unter. Den größten Erfolg verbuchte sie 2019 mit „How Deep Is Your Love“ zusammen mit PJ Morton, der ihr einen Grammy für die beste traditionelle RnB-Performance einbrachte. Zuvor lernte sie aber noch jenen Mann kennen, der ihren Sound schleifen und das Debüt-Album produzieren sollte: Mark Ronson.

Ihm konnte sie schnell vertrauen, er war – anders als andere Produzenten – wirklich an ihrer Musik und nicht nur an der tragischen Geschichte ihrer Mutter interessiert. Yebba erzählt von den Grammys und einem Labelboss, der sie einer anderen Künstlerin mit den Worten: “Her mom just died by suicide, but it’s all good because she’ll be able to write really good songs out of it“ vorstellte. Ronson verstand sie und konnte mit ihr zusammen am Sound schleifen. Gleichzeitig gewann er sie für sein eigenes Projekt Late Night Feelings.

Die Aufnahmen zu Dawn sind eigentlich schon seit eineinhalb Jahren (kurz vor Pandemiebeginn) beendet – trotzdem entschied sich Yebba bis jetzt zu warten und zunächst ihre eigenen Baustellen ab- und aufzuarbeiten. Mentale Gesundheit spielt eine große Rolle in ihrem Leben: „I don’t want to glorify rock bottom, but I was sitting on my couch doing my daily routine of chain smoking cigarettes,” she said. “I was just like, ‘I can either be a professional cigarette smoker and a professional drinker, or I can be a professional singer.’ I don’t agree that artistry has to be miserable, because that’s against every single reason why I was bonded to the music.”

Jetzt ist Dawn da, dessen Inhalt als auch der Titel ihrer Mutter gewidmet ist. Neo-Soul, Jazz, viel RnB und ein wenig Pop wird von Yebba geboten. Sie beginnt ihr Album mit der Frage: How many years will it take for these tears to dry? Ein Dialog mit sich selbst und ihrer Mutter, mit wunderbaren Harmonien und ganz reduziertem, aber dennoch wunderbar komplexen Instrumentals. Ein Trauersong, dessen Eingangsfrage zunächst unbeantwortet bleibt.

Stand kann man entweder wieder als Lied für die Mutter oder eine verflossene Liebe lesen. Erstmals wird die gesamte Wucht und Fülle von Yebba auf Dawn hörbar. Sie hat eine enorme Power, vor allem in den Höhen, die aber nicht gequält erzwungen wird, sondern tatsächlich so in die Wiege gelegt wurde. Der liebe Gott meinte es gut mit ihr, ihre Stimme ist ein Alleinstellungsmerkmal. Ronson, der sich spätestens seit seiner Zusammenarbeit mit Amy Winehose mit großen Stimmen auskennt, kann Yebba wundervoll unterstützen und in Szene setzen. Stand könnte man auch Adele geben, sie würde es nicht besser singen können. Eine große Ballade, mit fast allen typischen Elementen, die man dafür braucht.

Dramatik kommt bei Boomerang herein. Percussion, Flöten treiben Yebba durch den Song, in dem sie die gescheiterte und gewalttätige Ehe einer Freundin besingt. Hier wird ein Rachegelüst besungen – in sehr guter Manier.

Levels, Ebenen, Stimmen ohne Ende begegnen uns in All I Ever Wanted. Auch wenn die erste Zeile des Refrains ein wenig an Girlgroups der 90er-Jahre erinnert, erfängt er sich sofort wieder und wird zu einem wunderbar starken, farbenfrohen Gebilde. Die Power der Strophe zusammen mit den Streichern, der Gitarre und dem Chor sticht den Refrain allerdings aus.

Far Away hat den ersten Feature-Gast parat – und es ist niemand geringerer als A$AP Rocky. Gut, das kam überraschend, aber dass Yebba gut vernetzt ist, wissen wir schon. Auch hier wieder sehr viele Stimmen und ein laidback RnB-Song, der, A$AP Rocky nicht einmal unbedingt gebraucht hätte. Seine Strophe ist nicht schlecht, seine Delivery stark am Punkt, aber bezogen auf den Gesamtkontext des Albums hätte es dieses Feature gar nicht zwingend benötigt. Yebba kann auch alleine glänzen.

Persönlicher als in October Sky wird es nicht mehr werden. Hier gibt Yebba Einblick in das Leben ihrer Mutter und das Zusammenleben ihrer Familie, vor und nach ihrem Tod. Wie schon in Stand wird hier starkes Storytelling mit voluminöser Stimme vorgetragen, auch wenn ihr sowohl Text als auch Performance während der Aufnahme schwergefallen sein muss. So geht Ballade.

Eingängiger, vielleicht auch wieder etwas versteckt wütender wird es in Loui Bag. Auch hier ist Yebba wieder nicht allein, der Rapper Smino steuert eine Strophe bei. Insgesamt hat sie drei Jahre an diesem Song geschrieben, bis er schlussendlich so wurde, wie er jetzt ist. Eine Strophe – ach ein ganzer Song – wie von Alicia Keys. Ein großes Highlight dieses bis dahin schon sehr gelungenen Debüts. Auch wenn hier wie bei Far Away der zusätzliche Partner gar nicht notwendig gewesen wäre. Die Harmonie zwischen den beiden stimmt aber und der Song an sich überzeugt mit seinem eingängigen Thema und den aufs Wesentlich reduzierten Drums.

Zum einzigen kleinen Stilbruch dieses RnB-Neo-Soul-Werks mutiert Love Came Down. Da geht’s in die Pop-Richtung. Das stört nicht weiter – es handelt sich um einen guten Song – allerdings wirkt er etwas deplatziert im Gesamtkontext des Albums.

Viel Soul gibt es in Distance, eine akustische Gitarre, Keyboards, Chöre. Dirty-Dancing, also generell einmal ein Song mit ein wenig Hoffnung, wenn auch immer wieder die Sorge des Verlusts thematisiert wird. Vom inhaltlichen Zwiespalt distanziert sich dieser Track aber, er besticht durch seine Gemütlichkeit.

Das Finale bildet Paranoia Purple, das gleichzeitig auch den Kreis zum Beginn schließt. Eine Ode an die Mutter, die zum Schluss sogar noch selbst zu Wort kommt. Ein tiefer, vielleicht sogar bedrückender Song, der dennoch durch seine Verletzlichkeit dorthin trifft, wo Yebba hinzielte. Wirklich schöner Amy Winehouse-Vibe.

Insgesamt kann man von einem gelungenen Debüt sprechen. Die große Divergenz findet man auf Dawn noch nicht, dafür ist die Platte aber auch nicht konzipiert. Viel mehr ist Dawn als Notwendigkeit Yebbas anzusehen, die diese Lieder von ihrer Seele schreiben musste, um nach vorne schauen zu können. Die zwei Features sind nette Side-Gigs, werten das Album aber nicht zwingend auf. Dennoch kann man hier ohne Probleme dreieinhalb von fünf Pandroids oder eine solide sieben geben.  

3,5/5 Pandroids

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