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SHIRIN DAVID – BITCHES BRAUCHEN RAP

© Juicy Money Records

Genug von Tee und Pop – wir brauchen Rap. Besser gesagt Bitches brauchen Rap. Shirin David, erfolgreiche Business-Frau und YouTube-Star der ersten Stunde arbeitet schon einige Jahre an ihrer Musikkarriere. Warum diese spätestens jetzt richtig durchstarten wird, schauen wir uns jetzt genauer an.

BACKGROUND

Muss man Shirin David noch vorstellen? Vermutlich nicht. Die 26-Jährige zählt zu den großen Stars des Internets, legte eine Traumkarriere von der Lifestyle-YouTuberin zur erfolgreichen Business-Frau hin und ist aus der deutschsprachigen Promiszene nicht mehr wegzudenken. Eine Sache liegt ihr aber besonders am Herzen – die Musik. Schon als Kind begann sie mit Klavier-, Geigen- und Oboen-Unterricht, bekam eine Ausbildung an einer Jugend-Opern-Akademie in Gesang, Schauspiel und Tanz. Die Kunst nimmt einen großen Teil in ihrem Leben ein. Shirin David polarisiert. Sie macht keinen Hehl daraus, sich operiert haben zu lassen und geht offen mit den immer wiederkehrenden Anfeindungen, die sie erhält, um. Der Weg von YouTube zur Musik bzw. insbesondere zur Rapkarriere ist heutzutage kein steiniger. Es liegt fast schon auf der Hand, ab einer bestimmten Kanalgröße sich auch auf einem anderen Feld zu versuchen. Im Januar 2019 veröffentlichte Shirin ihr Debütalbum Supersize, das es bis an die Spitze der deutschen Charts brachte. Der Track Gib Ihm konnte sich in den Single-Charts ganz oben positionieren und gleich fünf weitere Songs des Debütsalbums schafften es in die Top-10 der deutschen Charts. Im vergangenen Sommer veröffentlichte sie die beiden Singles 90-60-111 (wieder Platz 1) und den absoluten Banger Hoes Up G’s Down (Platz 6). Die genaue Nachzeichnung ihrer Karriere bietet Shirin auf ihrem neuen Album in Form des Songs Bramfeld Storys.

Großen Anteil an ihrem musikalischen Erfolg hat ein Team, das hinter ihr steht und das sie der Öffentlichkeit nicht vorenthalten will. Produziert wurde die Platte hauptsächlich von Juh-Dee, Frio und young mesh bzw. Geenaro und Ghana Beats. Dass sie ihre Texte nicht immer selbst schreibt, ist auch kein Geheimnis – Shirin bricht offen mit der Verschwiegenheit gegenüber Ghostwritern und gibt denen Credit, die ihn auch verdienen. In ihrem Fall handelt es sich um Battlerap-Legende Lass (vormals Unltd.) der mit ihr zusammen an den harten Bars für Bitches brauchen Rap geschrieben hat.

Bleibt noch der Albumtitel. Shirin wählte Bitches brauchen Rap bewusst aus, sie will das negative und diffamierende Wort Bitches positiv aufladen. Reappropriation oder Geusenwort nennt man ein solches Vorhaben. Bitches ist für sie also keine Beleidigung, sondern Ausdruck ihres Feminismus. In den vergangenen Jahren wurde Shirin immer politischer und äußerste sich zu – zumindest in der Szene – heiklen Themen.

Das Album hätte schon Anfang September erscheinen sollen, Shirin verschob den Release aber um acht Wochen, um dem Werk „noch mehr Liebe, mehr Aufmerksamkeit und Promo“ geben zu können. Die drei großen Vorabsingles Ich darf das, Lieben wir und Be a Hoe/Break a Hoe (feat. Kitty Kat) stürmten auf Platz 1 der Charts. Vor allem die letzte Auskopplung hat genug Hype erzeugen können, um dem Album mit Vorfreude entgegenzusehen.

REVIEW

15 Songs und 48 Minuten umfasst das zweite Album von Shirin David. Wir könnten dieses Album lyrisch in sämtliche Einzelteile sezieren, was aber eine eigene Videoserie nach sich ziehen würde. Man kann generell aber sagen: Die Texte sind Feuer. Brennheiß. Wenn es eine „Schwäche“ gibt, dann auf hohem Niveau.

 Die poppigen Tage sollen der Vergangenheit angehören, der Albumtitel Bitches brauchen Rap auch wörtlich genommen werden. Shirin startet mit Babsi Bars, einem Opener im Dezember 2020 auf YouTube hochgeladen wurde und der damals enorme Verwunderung ausgelöst hatte. „Könnte es sein, dass sie wirklich rappen kann?“. Ja, kann sie. Babsi Bars ist ein erster Vorgeschmack auf die Chemie zwischen Shirin und Laas, der offenbar wie der Deckel zum Topf zur Künstlerin passt. Es wird nicht lange herumgefackelt, kein langes Instrumental-Intro – einfach Kaltstart direkt in die Fresse. Die von ihr gebrachten Vergleiche treffen hart, das Instrumental mit den harten Bässen passt perfekt zum Vorgetragenen. Wieder einmal ein Beweis dafür, dass man nicht immer einen aufwendigen, mit Schnörklen vollgepumpten Beat braucht, um seine Aussagen an die Hörer:innen zu bringen. Und dein Ex hat sich in mich verschossen, nenn ihn Tory Lanez. Ganz fein. Shirin kann alle Rap-To-Dos abhaken: Flow, Text, Delivery, bisschen protzen, den Beat zerstören. Geil.

Bitches brauchen Rap beginnt also hart und man erwartet sich vielleicht ein überzeichnendes Rap-Album, eine Platte mit vielen Utensilien, um die ihre männlichen Genre-Kollegen gerne ihre Songs bauen. Autos, Drogen, Frauen usw. Das gibt es hier nicht. Shirin David nützt die Gelegenheit, um sich vorzustellen, um viel Persönliches mit ihren Fans zu teilen. Depressionen im Paradies beschreibt den Inhalt des zweiten Songs schon punktgenau. Geschrieben auf Gran Canaria, berichtetet sie von ihren Zweifeln die sie ob des neuen Albums hat und findet sich trotz diesem paradiesischem Ambiente in einer Krise wieder. Der Beat wird dem Thema des Paradies gerecht, eine Bläser-Synthi zwitschert im Hintergrund, während der Bass und ein paar Streicher den Takt vorgeben. Shirin kauft man jedes Wort ab, das ist kein Heucheln, kein Aufmerksamkeits-Fishing, dass das Leben als reiche Frau auch schwer ist, sondern wahrlich ehrlicher Rap. Sie rappt durch, ohne Punkt und Komma und streut immer wieder alte Sprachnachrichten mit ihrer Schwester ein, die der Nachricht des Songs wohltuen.

Nicki Minaj eröffnet Last Bitch Standing, einem Track der richtig knallt und in dem sie sich mit der Musikszene anlegt. Ab jetzt könnt ihr mich canceln (Canceln) / Nicht mal mein Manager kann mich handeln (Nah) / Jeder Schritt von mir geht über Grenzen (Grenzen) / Baby, ich red’ wie ‘ne Präsidentin, last bitch standing. Ein Beat wie aus einem Retro-Videospiel zusammen mit einem weiteren harten Bass, der genau die richtige Portion badass für den Track mitbringt. Alles was sie sagt, jeder Move den sie tätigt, würde von der Presse aufgenommen oder zerrissen werden. Außerdem betont sie noch einmal, dass sie ein Team hinter sich hat:

Jeder weiß, vielleicht’s der Body fake, aber die Story echt
Und nochmal: Ich hab’ nicht alles selbst geschrieben
Doch nur ich bring’ ich die Fakten, auf den’n die Texte basieren
Periodt!

Ich darf das startete die neue Ära, die 808 kickt anständig ­– wie auf jedem anderen Track – und inhaltlich bewegt sich Shirin zwischen Flexen und Feminismus. Sie schafft diesen Spagat mit einer unerwarteten Leichtigkeit. Keiner sagt mir was ich darf – das kann man wörtlich nehmen, Shirin steht mit ihrem Namen und ihrer Musik dafür.

Zum ersten Feature lädt sie uns bei NDA’s ein – Shindy ist mit dabei. Auch die beiden haben eine musikalische Vorgeschichte (eigentlich auch einen kleinen Beef hinter sich), die sich aber mittlerweile wieder beruhigt und zur Konsequenz hat, dass der ehemalige EGJ-Schützling auf Bitches brauchen Rap vertreten ist. Auch wenn Shirin ihre Fans regelmäßig in ihren Alltag mitnimmt, gibt es einige Dinge, die von der Öffentlichkeit verborgen werden sollen. Deshalb nützt sie NDAs – zu deutsch: Verschwiegenheitsklauseln. Ein Vorgehen, dass ihr von Teilen der Szene mit einiger Kritik entgegengeblasen wurde. Shirin nützt den Track um verschiedene Episoden oder Methoden des Rapbusiness zu beleuchten – oder um es in ihren Worten zu sagen: zu exposen. Langsam aber sicher muss man sich damit anfreunden, dass es auf diesem Album keinen schlechten Beat geben wird. Shindy kann sich stimmungstechnisch blendend in den Song integrieren – auch wenn seine Verwendung des Wortes „Bitch“ deutlich anders anmutet als es sich bei Shirin tut. Schön auch, dass sie es nicht bei einer Strophe belässt, sondern nach Shindys Part noch nachlegt. Man lernt einiges bzw. bekommt sehr viel bestätigt, was die Rapszene betrifft (Traf ein’n Boy, der sagte, er wäre ein guter Schreiber (Okay) / Doch ist das jetzt ‘n Song oder ‘n Commercial für Designer? fasst viele Teile des gegenwärtigen Raps perfekt zusammen).

In Juicy Money reimt sie jede Line auf Money. Das geht sich sogar ohne großartig unangenehme Zweckreime aus und kann zudem noch eine zusammenhängende Geschichte erzählen. Die Hook ist laut eigener Aussage einfach von Laas und Shirin am meisten gefeiert wurde. So erfahren wir, dass sie am liebsten den Sportwagen von James Bond hätte. Die Instrumentals machen wieder nichts Außergewöhnliches – was sie auch nicht müssen, weil alle im Team genau wissen, was sie machen wollen. Die Abstimmung zwischen Rapperin, Produzenten und Inhalt greift wie Zahnräder ineinander.

Lieben wir darf wieder auf 808 und Streicher samt Synthis flexen. Was prinzipiell auffällt: Die Beats muten manchmal an, als ob sie aus der Hochphase des Aggro Berlin-Zeitalters stammen. Lieben wir ist kein offensichtlich politischer oder besonders geschichtenerzählender Track, viel mehr eine abermalige Erinnerung, dass Shirin tun und lassen kann was sie will und dass sie auch ihren Fans zu so einer Einstellung rät.

Ordentlich Namedropping betreibt Shirin in Man’s World. Sie zählt zahlreiche Frauen auf, die in ihren jeweiligen Bereichen Koryphäen oder führende Persönlichkeiten sind, aber hauptsächlich auf Grund ihres Aussehens oder ihres Alters nicht ernst genommen werden. Sie widmet sich also der Oberflächlichkeit der Gesellschaft und verwendet für die Hook ein Sample von niemand geringeren als James Brown (der bekanntlich auch nicht sonderlich frauenfreundlich aufgefallen ist). Man’s World Beat könnte ebenfalls auf einem Aggro Berlin-Sampler zu finden sein, die Stimmung erinnert an eine frühe Kitty Kat. Die Hook ist nicht unspannend This is a man’s world, selbst der Himmel ist in Blau getränkt / Ich hab’ mich von den Wurzeln bis zur Blüte hier raufgekämpft / Kings werden gebor’n, Prinzessinn’n werden auserwählt / It’s a man’s world, die sich um Frauen dreht. Wieder wählt sie ein offensichtliches Scheme (Namedropping), dass sie nicht nur einfach wegen der verschiedenen Namen erfüllen kann, sondern auch eine Geschichte mitbringt.

Nach all dem in-die-Fresse-Rap wird es kurz Zeit, um mal Luft holen zu können. Bae geht eher in Richtung R&B und erinnert an Kehlani. Eine Story über einen Fuckboy, der eine Freundin dementsprechend schlecht behandelt und man ihn auch klipp und klar sagt: ich sehe dich, reiß dich besser zusammen. Der Beat kommt wieder sehr reduziert um die Ecke, Shirin beginnt ein wenig zu singen, spart sich die großen Gesangsparts aber für später auf. Der Track passt gut in die Mitte des Albums, eine kleine Pause tut gut.

Lange hält die Unterbrechung der harten Bars ohnehin nicht an. Direkt im Anschluss folgt Be a Hoe/Break a Hoe, der wohl härteste Beat des Albums. Hier wird selbst der größte Shirin-Hater mit dem Kopf mitnicken müssen, ein absolutes Brett und eine massive Kollaboration zwischen Shirin und ihrem Idol Kitty Kat. Es wird geflext, ein wenig über Sexuelles fantasiert und versteckt auf einige Disses ihnen gegenüber reagiert. Kittys Part stotzt voller nostalgischer Lines, Fans der ersten Stunde werden die gewählten Zeilen schnell erkennen können. Als dieser Track vor wenigen Wochen erschien, konnte man nicht anders, als Shirin Props zu geben. „Die meint das ernst, wenn sie von harten Bars spricht“. Sie knallt dir 2:51 Minuten alles in die Fresse – und als Hörer lächelt man, weil man sich bedankt. Die Kanye-Kim-Anspielungen in der ersten Strophe muss man nicht mehr extra erwähnen, sie konnten sich in den wenigen Wochen seit dem Erscheinen schon selbst einen Namen machen.

Ab Track elf leitet Shirin eine kleine R&B-Phase ein. Sowohl Dior Sauvage als auch Heute Nicht zeigen sie als Sängerin. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleg:innen kann sie auch singen – sogar ziemlich gut – als dementsprechend gelungen darf man beide Tracks bezeichnen. Einzig an den Beat von Dior Sauvage könnte man sich gewöhnen müssen, irgendwie bekommt man bei Shirins Rap-Parts kleine Rhythmus-Störungen (die es nicht gibt, man braucht nur ein wenig, um dieses Konzept zu entschlüsseln). Es sind Liebessongs über verflossene Lieben, über den Duft, den man nicht mehr riechen kann, ohne an die jeweilige Person denken zu müssen oder über die Erkenntnis, dass die Beziehung jetzt endgültig aus ist. Was wir von den Liebessongs mitnehmen? Shirin könnte auch R&B machen.

Ab wann gilt Rap als guter Rap? Müssen die Texte selbst geschrieben sein? Darf man jemanden feiern, der im Kollektiv Texte schreibt? Diese Fragen stellt sich Shirin unter anderem im titelgebenden Song Biches brauchen Rap. Es gibt keine Missgunst oder keinen Neid von ihr gegenüber anderen erfolgreichen Künsterl:innen. Der Beat knallt mit Synthis wieder in die Fresse, die Hook wird wieder gesungen – 90er Vibes kommen dementsprechend auf. Sie schiebt den Vorhang hinter die Kulissen der Rapszene wieder ein wenig zur Seite, spricht über ihren Typ, der bisher nur in den USA aber sicher nicht in Deutschland funktionieren würde. Am Ende spricht KRS-One zum Volk: Hip-hop needs dope lyrics. Korrekt – und Shirin liefert.

Jeder Fan des deutschen Raps kennt Sidos Schlechtes Vorbild. Shirin David tritt in diese übergroßen Fußstapfen und wartet mit einem Track mit demselben Titel auf. Der Simmung wird düsterer, sie erzählt die Geschichte von Fans, die sie per DM erhalten hat. Storytelling vom Feinsten, alles passt hier zusammen. Sie räumt mit Doppelmoral auf und wird gegen Ungerechtigkeiten laut. Aussage, Flow, Beat – perfekt. Ohne Promo erreichte Schlechtes Vorbild Platz 13 der deutschen Charts.

Bleibt noch das große Finale Bramfeld Storys. Neun Minuten Bars, Bars, Bars. Shirin zeichnet ihr Leben nach, erzählt von ihrer Kindheit, ihren Anfängen, das Risiko der Musikkarriere, dem Kennenlernen mit Laas oder dem Abu-Chaker-Clan. Viele Rapper machen so einen Track, selten machte biografischer Rap aber so viel Laune wie hier. Der Beat hat wie üblich nicht viele Levels, bringt aber das was er präsentiert perfekt auf den Punkt. Gönnt euch diese Story, diese neun Minuten vergehen wie im Flug.

FAZIT

Das erstaunlichste an diesem Album ist die Realness. Alles was Shirin von sich gibt, glaubt man ihr. Einige Comedians machten sich in der Vergangenheit über ihre Texte lustig, sie würde zu wenig aus ihrem Potential machen, da sie ja eine ziemlich mächtige musikalische Ausbildung genoss. Aber darum geht es bei Shirin Davids Musik nicht. Die Grundaussage ist so einfach wie klar: Ich kann machen was ich will und tue das auch. Es ist schon bitter genug, dass man das als Frau im Jahr 2021 immer noch groß plakatieren muss und nicht als Selbstverständlichkeit angesehen wird. Ja, Shirins Körper mag an einigen Stellen sehr künstlich sein (und das mit dem Blackfacing sollte langsam aber sicher auch abgestellt werden) aber ihre Musik ist real. Ihre Geschichte ist real. Die Umsetzung ist real.

Bitches brauchen Rap hat keine Hänger, alles was man zu hören bekommt, geht in einem Guss. Laas konnte Shirin die nötige Finesse mitgeben, um die Lyrics auf ein neuen Level zu heben. Die Beats orientieren sich an einer der Blüte-Phasen des HipHops und verzichten auf eintönige Trap-Sequenzen. Und Shirin liefert einfach ab. Keine Skipper. Keine Überlänge. Keine unnötigen Experimente. Bars.

Vieles von diesem Album erinnert an das Debüt von Cardi B. Es tritt dir in die Fresse, lässt dich mit kurzen R&B-Phasen kurz erholen und haut dich dann noch einmal um. Im Gegensatz zu Cardi gibt es aber keinen Track, den man skippen möchte. Sagen wir wie’s ist. All Hail Queen Shirin. Sie stößt die Tür für eine ohnehin schon im Aufwärtstrend befindende Frauen-Rap-Liga auf, die sich wie die männlichen Kollegen ab sofort mit einem Werk wie Bitches brauchen Rap messen lassen muss.

5/5 Pandroids

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