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DENZEL CURRY – MELT MY EYEZ SEE YOUR FUTURE

© PH Records

Genre: Rap

Denzel Curry beweist mit Melt My Eyez See Your Future, dass er der Rapwelt wieder mal einen Schritt voraus ist.

BACKGROUND

Nicht viele Rapper sind so talentiert wie Denzel Curry. Der mittlerweile 27-Jährige kann schon jetzt eine Diskografie vorweisen, die so manchem Veteranen die Schweißperlen auf die Stirn steigen lassen. Aufgeschlagen als gefeierter Cloudrapper, folgte der endgültige Durchbruch zum angesagten und hoch geschätzten Künstler 2018 mit seinem dritten Album Ta13oo, auf dem er seine Depressionen adressierte und sowohl Schatten- als auch Sonnenseiten des Lebens thematisierte. Dabei verließ er sich nicht auf die herkömmlichen Hiphop-Muster, sondern experimentierte sich durch verschiedene Subgenres, manchmal aggressiv und immer energiegeladen. Ähnlich verhielt es sich bei seinem 2019 erschienen vierten Soloalbum Zuu, das er seiner Heimatstadt Miami widmete und wo er sich über die Musik einen Weg aus dem Heimweh suchte.

Zusammen mit Kenny Beats veröffentlichte Denzel 2020 die herausragende EP Unlocked, die ihn einmal mehr als Versteher und Könner diverser Musikstile zeigte. Durch seine Energie, seinen Flow und seine Texte, zählt Denzel trotz seines immer noch jungen Alters, zu den vielseitigsten und talentiertesten Rappern dieser Zeit. Auf Melt My Eyez See Your Future legt er die Alter Egos vergangener Tage ab und will sich von seiner persönlichsten Seite zeigen. Was im Grunde genommen ein sehr kühnes Vorhaben darstellt, war er doch bisher schon sehr offen in seinen Texten.

REVIEW

Ein Blick auf die Produzentenliste reicht, um zu sehen, dass Denzel es ernst meint. Robert Glasper, mehrfacher Grammy-Preisträger, JPEGMafia, FnZ, Kenny Beats, Powers Pleasant, Karriem Riggins oder Thundercat sind nur einige der herausragenden Verantwortlichen für Melt My Eyez See Your Future.

Kenner von Currys Diskografie wissen um seine Leidenschaft, Banger zu schreiben, die live in Moshpits ausarten. Davon distanziert sich Denzel auf den ersten Blick auf seinem neuen Album. Viel mehr möchte er seine Musik neuausrichten und – wenn man so möchte – melodischere, vielleicht auch softere Töne anschlagen. Er startet locker und entspannt mit Melt Session #1 , reflektiert gleich zu Beginn über sein bisheriges Leben, spricht noch einmal seine Depression an. I keep walkin’, I keep walkin’, I keep walkin’, wiederholt er. Es ist der Beginn einer vielversprechenden Reise, die uns eine Dreiviertelstunde beschäftigen wird.

Alle Beats können sich hören lassen, meistens wählt Denzel den klassischen Laid-Back-Weg, der trotzdem wuchtig einschlägt und ihm ordentlich Raum für seinen außergewöhnlichen Flow bietet. Er bedient sich in anderen Genres, gibt Jazz, Neo-Soul aber auch Drum & Bass eine größere Rolle. Die Übergänge zwischen den Tracks sind zum Zunge schnalzen, smooth gleiten wir vom einen in den anderen Track. Die Leadsingle zu Melt My Eyez See Your Future – Walkin – bleibt auch Monate nach Erscheinen einer der besten Raptracks des Jahres. Denzel ist in seinen Texten immer schon gesellschaftskritisch aufgetreten, was er sich auch hier beibehält. Der Weg durch die kapitalistische Welt, mit all ihren Stolpersteinen, wurde schon lange nicht mehr so harmonisch und kraftvoll beschrieben, wie Denzel es hier tut.

Die Kritik am Leben in den USA hält er mit Tracks wie Worst Come to Worst oder The Last aufrecht. Erstgenannter Track artikuliert sich noch allgemein, während The Last sich intensiv und explizit mit den Unruhen im Zuge der Ermordung George Floyds beschäftigt und auch Rassismus in der Musikbranche beschreibt. Cops killin’ blacks when the whites do the most / And your so-called revolution ain’t nothin’ but a post. The Last fällt musikalisch aus der Reihe, Denzel bleibt seinem vorgetragenen Schema über den gesamten Track treu, was relativ wenig Überraschungen zur Folge hat. Man könnte seine Taktik aber auch als bewusstes Stilmittel bezeichnen: Die Morde an jungen schwarzen Männern durch die Polizei nehmen nicht ab – same shit, different day – immer dasselbe Lied und Leid.

Die Hilflosigkeit, die durch die polizeiliche Willkür ausgelöst wird, veranlasst Denzel sich eine Waffe zu besorgen, sich wie John Wayne durch die Straßen zu bewegen und sich im Zweifel vor denjenigen selbst zu beschützen, die eigentlich ihn beschützen sollten. JPEGMafia zauberte ihm für diesen Feldzug durch die Straßen einen ganz feinen Beat, der Denzels Überlebenskampf auch musikalisch untermalt.

Wenn Denzel davon spricht, sich seinen Fans so zu präsentieren, wie er ist –den echten Denzel zu zeigen ­– dann teilt er auch sehr persönliche Gedanken. Im vom Klavier getragenen Mental bespricht er seine zurückliegenden Selbstmordgedanken, die ihn vor allem zu Zeiten seines Albums Ta13oo heimsuchten. Die Klarheit und Schönheit dieses kurzen, aber eindrucksvollen Songs bleibt nach Verklingen des letzten Tons bestehen. Die jazzigen Facetten stehen Denzel hervorragend, die Kollaborationen mit Könnern des Fachs natürlich ebenso. Mental wird mit einem eindrucksvollen Gedicht von Saul Williams beschlossen.

Generell hat sich Denzel für Melt My Eyez See Your Future einige Gäste eingeladen: T-Pain darf sein Autotune auf Troubles präsentieren, einem Track, der im Pulk des Albums deutlich besser aufgehoben ist, als als alleinstehende Single. Denzel wechselt zwischen verschiedenen Stilen, singt mehr, bleibt sich mit dem kräftigen – manchmal auch auf den letzten Druck herauspressenden – Vortrag aber auch treu. Man hätte es sich zwar nicht vorstellen können, aber T-Pain und Denzel harmonieren sehr gut.

Das größte Zusammentreffen des Albums packt Denzel in die Albummitte: Auf Ain’t No Way finden sich 6lack, Jasiah, Rico Nasty und JID ein, um gemeinsam zu flexen oder sich zu wundern, warum dieses und jenes immer noch so oder so (nicht) funktioniert. Krasse Kontraste entstehen – von 6lacks ruhiger Hook zu Rico Nastys aggressiver Strophe etwa. JID liefert wie üblich ab, Denzel fällt mit feinen Wortspielen in seinem Part auf (Jiggaman made his first album at twenty-six / I passed twenty-five, I was seventeen gettin’ rich / Ain’t no way I was gonna take what people sell me / Run the jewels ’cause I kill a mic on any LP).

Für die eher klassischen Denzel-Tracks, also jene die ein bisschen ausgeflippter sein dürfen, hat er sich auf Sanjuro 454 eingeladen. Die Pace ist hoch, der Beat verlässt die Jazz-Pfade und kehrt zu den Wurzeln Currys zurück. Wenn man ein Highlight aus diesem von Höhepunkten strotzenden Album herausnehmen will, dürften die meisten wohl Zatoichi wählen. Slowthai schlägt hier neben Denzel auf, sie wagen sich nach gediegenem Start durch die Drum & Bass-Gefilde und sorgen damit für den nächsten Live-Kracher, der Fans zukünftig beglücken wird. Die Divergenz zwischen den sanften Background-Chören und der hohen Energie der 808s und E-Drums steckt an und steht stellvertretend für die musikalische Welt, in der sich Denzel seit Jahren bewegt.

Auch wenn die Streicher und das Piano auf X-Wing durchaus ihre Momente vorweisen können, passiert auf dem Track sonst relativ wenig. Denzel versucht sich wieder mehr am Gesang, was in einer eher mühsamen Hook gipfelt. Der einzige Track der nicht ganz das hohe Niveau von Melt My Eyez See Your Future halten kann.

FAZIT

Denzel Curry hat mit Melt My Eyez See Your Future sein Ziel erreicht und seinen Sound noch einmal nach- oder neujustiert. Er präsentiert ein durchgängig kohärentes Album, das nur in seltenen Momenten den einfachen Weg einschlägt. Melt My Eyez See Your Future erinnert an vielen Stellen an Kendrick Lamar, was nicht zuletzt an den vielen Jazz-Einflüssen liegt. Denzel pusht sich mit Leichtigkeit an sein Limit, greift auf hervorragende Produktion zurück und zementiert seinen Status als Leader einer neuen Rap-Generation. Jedes seiner Projekte steht für sich – dieses hier ganz weit oben.

9,1/10

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