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SAMIA – HONEY

© Grand Jury Music

Genre: Indie-Pop/Rock

Das zweite Album der Singer-Songwriterin ist prädestiniert für den großen Wurf.

BACKGROUND

Samia hat berühmte Eltern: Ihre Mutter Kathy Najimy kennt man aus Filmen wir Sister Act oder Rat Race, ihr Vater Dan Finnerty hatte unter anderem einen Auftritt in The Hangover. Geboren in Los Angeles, wuchs Samia in New York auf. Musik war gar nicht das erste Steckenpferd, viel mehr kommt die mittlerweile 26-Jährige aus der Literatur. Sie schrieb früh Gedichte, die sie mit der Zeit auch vertonte. Nachdem sie im Internet viral ging und zahlreiche Labels bei ihr Schlange standen, veröffentlichte sie 2020 ihr Debütalbum The Baby, das von Kritikern für das Songwriting gelobt wurde. Samia ging davon aus, dass sie wohl mehrere Jahre brauchen würde, um wieder eine Platte mit zwölf Tracks schreiben zu können. Tatsächlich dauerte es nur zweieinhalb Jahre, ehe jetzt elf Songs den Rahmen für ihr zweites Album Honey bilden.

REVIEW

40 Minuten nimmt sie uns mit in sehr persönliche Gefilde. Da geht’s um Tod, um Schwangerschaften, Beziehungen, die in die Brüche gehen oder traumatische Erlebnisse wie sexuellen Missbrauch. Samias Sound wird gerne als Mischung zwischen Phoebe Bridgers und Olivia Rodrigo beschrieben, was ein zulässiger Vergleich, aber auch ein ziemlich uninspirierter ist. Ja, auch Samia schreibt sehr unverfroren und ehrlich aus der Seele heraus – wie Phoebe – aber trotzdem klingt sie anders als Everybody’s Darling Phoebe. Reflexion ist das Stichwort dieses Album, ihr reicht es jetzt, sie will nach vorne blicken, die Fehler der Vergangenheit nicht mehr wiederholen und den Herzschmerz endgültig ablegen.

Can I tell you something? I’ve never felt so unworthy of loving, singt sie im Opener Kill Her Freak Out, in dem sie hofft, dass der ehemalige Geliebte die alte Flamme aus dem Heimatdorf heiratet, die Samia dann umbringen wird. Mordfantasien sind offenbar in Mode, wenn man an SZA denkt. Ein gebrochenes Herz kann eben zu drastischen Mitteln führen. Der Song bricht nicht aus, kommt sehr ruhig daher, mit feinen Elementen. Ein Instrumental, das Samia unterstützt und ihre Stimme – ihren Vortrag – ins Zentrum stellt. Sehr eingängig, sehr abhängig machend und auch ein wenig pastoral.

In Charm You kommt die Country-Seite in bisschen durch, wenngleich man hier schon auch die Phoebe-Inspiration heraushören kann. Die Gitarre ist prominent in Szene gesetzt, während Samias Gesang sich wunderbar um sie herumgarnt. Sie hat genug vom Gefallen müssen und besingt diese Erkenntnis auf charmante Art und Weise – sorry für das miese Wortspiel.

Pink Balloon wird zur großen Ballade, wo’s gar um Selbstmord geht. Nachdem sie in Charm You noch niemanden mehr Gefallen wollte, versucht sie hier wieder Leute zum Lachen zu bringen. Das Klavier und ihr Gesang verschmelzen und greifen ineinander. Stimmliche Leistung wieder absolut an der Perfektion kratzend, der Text nahezu makellos.

Mit Mad At Me folgt ein kleiner Stilbruch und Ausflug in das klassische Pop-Rock-Terrain. Steht ihr ganz ok, kommt aber – auch auf Grund des Feature-Partners papa mybe (offenbar ein großer Fan von BROCKHAMPTONs bearface) nicht weit vom Fleck. Das Instrumental hat wenig zu bieten außer die übliche Abfolge. Ein solider aber bei weitem nicht besonderer Track.

Screaming porn kills love beginnt sie in Sea Love. Fast a capella singt Samia im ersten Teil des Songs, in wohltuendem Falsett, das von der Stimmfarbe an Marina erinner. Irgendwann setzen Klavierakkorde und ein paar Drums ein. In der Mitte kommt der Cut und es braut sich was zusammen, die Drummachine übernimmt, Synthis kommen dazu und eine männliche Stimme, die fast willkürlich Wörter vorliest (die in Wahrheit zusammenpassen) bilden den zweiten Teil.

Sehr angenehm und leicht begegnet uns To Me It Was. Wieder akustische Gitarre mit sehr sanften Vocals, in der Strophe deutlich countrylastiger als vieles auf diesem Album. Der Refrain fällt ein wenig flach, da wäre noch ein bisschen mehr Vielseitigkeit wünschenswert gewesen. Insgesamt aber ein schönes Lied, das an Lucy Dacus erinnert.

Breathing Song und Honey gehören inhaltlich zusammen und behandeln ziemlich düstere Themen. Der stimmlich herausragend vorgetragene Breathing Song handelt von sexuellem Missbrauch und einer Abtreibung bzw. einer Fehlgeburt, während Honey zwar locker-flockig anmutet, jedoch das Vergessen und den dazugehörigen Alkoholexzessen thematisiert. Die Verzweiflung und stilistische Herangehensweise von Breathing Song – Autotune im speziellen – geht unter die Haut und wühlt auf. Honey hingegen gilt zwar für Samia als schwierigster Song, ist aber vermutlich der tanzbarste Track des gesamten Albums. Wenn man so möchte, ist dieses Lied Samias Kyoto. Es gibt keine Chance sich dieser Melodie zu entziehen, zu leicht und unbeschwert strummt die Gitarre und führt uns die Sängerin durch den Track.

Die zwei schwächsten Tracks verbergen sich direkt im Anschluss: Nanana und Amelia sind im lyrischen Ton deutlich euphorischer, musikalisch wirken die beiden Songs aber nicht ausgegoren und ein wenig Fehl am Platz. Nanana könnte um die Weihnachtszeit eine Renaissance feiern, das Lied hat mehr Wiegenlied-Charakter als echten Wumms. Amelia wurde für eine sehr gute Freundin geschrieben, kommt aber nicht vom relativ eintönigen Pop weg. Solide, aber nicht weiter erwähnenswert. Man muss ihr zwar ein bisschen Euphorie zugestehen, darf dafür aber auch ein bisschen mehr Mut fordern.

Als Closer dient Dream Song, den man auch in die Bridgers-Schiene packen darf. Sehr schönes Arrangement, Gitarre am Punkt, die Vocals auch aufwendiger mit Mehrstimmigkeit und tiefgründigen Lyrics. Katharsis ist hier ein Stichwort – nicht zum ersten Mal auf Honey – kommt aber in diesem sehr klaren und direkt gehaltenen Song noch einmal besser zur Geltung. Sehr schöner Abschluss.

FAZIT

Dass Samia eine begnadete Songschreiberin ist, steht schon seit dem Debüt fest. Mit Honey geht sie den nächsten Schritt, kann sowohl lyrisch als auch musikalisch noch Tiefe nachlegen. Bis auf Kleinigkeiten, kann man nicht viel an diesem Album aussetzen. Auch wenn die Themen manchmal sehr harter Tobak sind, kreiert sie eine durchwegs angenehme Atmosphäre, in der man gerne länger verweilt. Ein sehr schönes Album.

8,0/10