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SILVANA ESTRADA – MARCHITA

© Glassnote Music

Es soll vorkommen, dass man mit mexikanischer Musik zunächst sowas oder eventuell auch sowas assoziiert. Mexiko kann aber auch anders klingen. Das beweist die 24-jährige Sängerin Silvana Estrada, die auf ihrem Debütalbum Marchita eindrucksvoll den Verlust einer großen Liebe verarbeitet.

BACKGROUND

Silvana Estrada wurde in Jalapa, Veracruz, Mexiko geboren. Ihr Vater betreibt eine Werkstatt für diverse Lautinstrumente, wodurch sie schon früh in Berührung mit den klassischen Instrumenten der Kultur kam. Sie lernte Klavier, Geige und Bratsche sowie Cuatro und stolperte über Musik von Billie Holiday, Ella Fitzgerald oder Sarah Vaug, was ihre eigene musikalische Laufbahn beeinflussen sollte. Silvana studierte an der Universität von Veracruz Jazz, zog aber nach New York um, um sich zur Gänze auf die musikalische Karriere zu fokussieren. „An der Uni lernte ich meine Stimme als Instrument zu nützen. Außerdem lernte ich frei zu sein – das Beste am Jazz ist die Möglichkeit, ständig was anderes zu machen.“

Aber ganz wollte sie sich dem Genre nicht verschreiben. In New York traf sie auf verschiedene Musiker, mit denen sie erste Konzerte gab. Sie vermisste das Singen in ihrer spanischen Muttersprache und die Folk-Klänge, die sie in ihrer Kindheit begleiteten. Nachdem sie wieder nach Mexiko zurückkehrte, startete sie in Mexiko City voll durch. Mit Marchita kam im Januar 2022 das erste Album auf den Markt, dass sich vor allem um (Liebes)Kummer dreht. „Das gesamte Alum ist eine Reise ins Selbst, um zu versuchen, Trauer zu verstehen“.

REVIEW

Elf Songs und 37 Minuten lang dauert dieser Trip in die eigene Seele. Silvana Estrada macht Musik, die wir Mitteleuropäer immer noch als exotisch, oder schlicht als Latin bezeichnen würden. Einige würden gar von großem Jammer sprechen. Marchita ist eine aufs Wesentliche reduzierte Platte, die eine junge Frau mit einer Cuatro im Zentrum stehen hat und die über den Verlust der Liebe singt. So weich und zart, so bitter und verzweifelt. Und am Ende auch versöhnlich.

„Wenn man ehrlich ist mit dem, was man singt, dringt die DNA des Songs auch nach Jahren noch immer durch das Herz“, sagt sie über das Album. Silvana schrieb die meisten Songs schon vor zwei Jahren. Von ihrer Wucht und Klarheit haben sie nichts verloren. Im Opener Más o menos antes begrüßt sie uns ganz sanft, ohne großes Arrangement, dafür mit kräftiger Stimme. Wenn Billie Eilish auf ihrer Ukulele spielt und dazu singt, will sie so klingen, wie Silvana es hier tut. In La Corriente wird das Saiteninstrument schon anständiger gezupft, Silvana singt – wie fast immer – sehr bildhaft über ihre Beziehung: Du hast Gezeiten und Strömungen verändert, du hast deinen Namen im Meer hinterlassen. Plötzlich ein wenig Klavier und ein Saxophon, ein kleiner Chor und Streicher. Dreieinhalb Minuten die sich zu etwas größerem aufbauen.

Fantastisch wird’s in Te Guardo. Wieder startet sie nur mit ihrer Cuarto, ehe sowohl Percussion als auch eine kleine Streicherbesetzung einsetzt und man abermals zum Schluss kommen muss, dass das Cello eines der wundervollsten Instrumente in unserer Musikwelt ist. Sie hat noch Hoffnung, dass sich der (Ex-)Freund umentscheidet und wieder zu ihr findet, im Fall der Fälle würde sie sogar den Polster aufsparen. Eine wirklich wunderbare Nummer.

Wie auch Sabré Olvidar, das sich ebenfalls zu einem ganz großen Song entfalten kann. Eine Anklage, wie man endlich vergessen kann, was war oder was sein könnte. Wieder Streicher und noch akzentuierter Vortrag von Silvana. Generell verwendet sie typisches Melisma, ohne sich darin zu sehr zu verlieren. Die Schönheit dieses Liedes klingt auch nach den fertigen viereinhalb Minuten noch nach, die Energie die Estrada hier freisetzt, dringt zu den Hörer:innen durch.

Auf Carta scheint alles ein bisschen fröhlicher zu sein, Casa und der Closer La Enfermedad Del Siglo zeigen ihre Verbundenheit zum Jazz. Das hat auch Platz, Marchita ist ein Album, dass sich dem Drama des Verlassen Werdens verschrieben hat und in dessen Aufarbeitung auch Chaos herrscht.

Es gibt keinen schlechten Track. Sowohl Marchita, als auch Tristeza, Und Dia Cualqiera oder Ser De Ti können auf ihre Art und Weise punkten und das zum Ausdruck bringen, was Silvana auch möchte – es wird schon weitergehen.

FAZIT

Marchita ist eines der schönsten Alben, dass man in der jüngeren Vergangenheit hören hat dürfen. Die Umsetzung des von Estrada vorgestellten Themas ist punktgenau getroffen, die Schlichtheit, mit der sie antritt, trifft wuchtig in verwundbare Stellen. Wieder einmal gilt: Man muss nicht jedes Wort verstehen, um zu fühlen, wie gut diese Musik ist. Ein Debüt der großen Klasse.

8,7/10

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